Kirchliches Eigentum enteignet, Ausbildung von Geistlichen verboten, Kirchenbau blockiert
B O N N (24. Juli 2004) Heute vor 81 Jahren wurde in Lausanne ein Friedensvertrag unterzeichnet, der noch heute für die christlichen Minderheiten der Türkei weitreichende Folgen hat. Der Lausanner Friedensvertrag entstand zwischen dem Abschluss des Bürgerkrieges und der Gründung der Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk. In ihm werden nicht nur die Grenzen der neuen, türkischen Republik festgelegt, sondern auch die Rechtsstellung der nicht-muslimischen Minderheiten geregelt. Doch die versprochene und international geforderte Gleichberechtigung ist derzeit in der Türkei nicht gegeben. Das zeigt sich vor allem an folgenden Punkten:
1. Enteignung kirchlichen Eigentums. Vor allem armenische Stiftungen sind davon betroffen. Da ihnen auch der erneute Erwerb von Immobilien (zum Beispiel durch Erbschaften ihrer Mitglieder) durch Verwaltungsvorschriften unmöglich ist, fehlt vielen Gemeinden die notwendige, finanzielle Grundlage. Die Schließung kirchlicher Einrichtungen, wie z.B. Schulen, ist meist die logische Folge.
2. Blockierung des Kirchenbaus. Durch komplizierte und langwierige Genehmigungsverfahren wird die Schaffung kirchlicher Einrichtungen extrem erschwert und in vielen Fällen ganz blockiert. Auch die Renovierung von Gebäuden in kirchlicher Trägerschaft wird stark behindert. Sie bedarf sogar einer Genehmigung des Außenministeriums.
3. Verbot der Ausbildung von Geistlichen. Eine der größten Gefahren für den Bestand der christlichen Kirchen. 1970 mussten alle Priesterseminare geschlossen werden. Außerdem dürfen – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen – nur türkische Staatsangehörige als Geistliche in der Türkei arbeiten. Auch der Zugang zu Ausbildung an den Schulen der christlichen Minderheit wird durch verschärfte Zulassungsvoraussetzungen beschränkt.
Dabei heißt es in Artikel 40 des Lausanner Vertragswerkes:
„Türkische Staatsangehörige, die nicht-muslimischen Minderheiten angehören, werden vor dem Recht und in der Praxis die gleiche Behandlung und Sicherheit erfahren, wie die anderen türkischen Staatsbürger. Insbesondere werden sie genauso berechtigt sein, auf eigene Kosten wohltätige, religiöse und soziale Einrichtungen, Schulen aller Art und andere Bildungs- und Erziehungseinrichtungen zu errichten, zu verwalten, und zu kontrollieren, dort ihre eigene Sprache und ihre Religion frei auszuüben.“
Aufgrund des Anpassungsdrucks verabschiedete die türkische Regierung in der Zeit von Februar 2002 bis Juli 2003 sieben so genannte EU-Harmonisierungsgesetze. Doch auch die darin enthaltenen Regelungen zur Religionsfreiheit führten nicht zu der erhofften Verbesserung der Situation der christlichen Minderheit. In einem Zwischenbericht des Europaparlaments vom April 2004 wird unter anderem beklagt, dass christliche Kirchen keine Rechtspersönlichkeit erhielten. Im Dezember 2004 gibt die Europäische Union ihre Entscheidung über mögliche Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bekannt.
Unterricht in aramäischer Sprache verboten, Völkermord wird weiter tabuisiert
Darüber hinaus forderte die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main Anfang des Jahres vergeblich, das Verbot des Unterrichts in der aramäischen Sprache in den Klöstern des Tur Abdin aufzuheben. 15.000 assyro-aramäische Christen sind davon betroffen. Zudem werden die Assyrer überhaupt nicht als Minderheit im Sinne des Lausanner Vertrages anerkannt.
Weiterhin beklagen auch die deutschen Kirchen die fortdauernde Tabuisierung des Völkermords an 1,5 Millionen Armeniern und des Massakers an etwa 500.000 assyrischen Christen während des Ersten Weltkrieges. Allein die Erwähnung werde in der Türkei strafrechtlich verfolgt.
Viele Christen klagen zudem über eine starke Diskriminierung in Beruf und Alltag. Im Personalausweis wird der Christ bis heute an der Ziffer 31 erkannt, was bei Kontrollen immer wieder zu Benachteiligung führen kann. Vor allem in der Verwaltung und dem Militär begegnet der Christ einem tiefen Misstrauen seiner muslimischen Mitbürger. Sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg werden ihm erschwert. Viele Christen scheuen daher das offene, religiöse Bekenntnis. Die türkische Verfassung von 1982 kennt keinen Minderheitenbegriff. Die Homogenität der türkischen Kultur sehen viele Türken durch (christliche) Minderheiten gefährdet. Vor allem Konvertiten sehen sich hier einem enormen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt. Walter Flick von der IGFM spricht zusammenfassend von einer Überbetonung kollektiver Interessen gegenüber individuellen und Minderheitenrechten in der politischen Praxis der Türkei. Bereits in der „Verfassungswirklichkeit“ trete eine „Nähe zum als Prinzip der Einheit verstandenen sunnitischen Islam zutage“, so Flick.
Nachdruck honorarfrei, Belegexemplar wird erbeten.