Im Islam gilt jeder einzelne Mensch als Geschöpf Gottes und als sichtbares Zeichen seiner Allmacht. Es liegt nahe, dann auch jeglichen Eingriff in das Leben eines Menschen abzulehnen.
Dennoch hat der Islam kein eindeutiges, unter allen Umständen durchgehaltenes „Nein“ zur Abtreibung. Sie wird unter Hinweis darauf erlaubt, daß das werdende Kind noch so lange abgetrieben werden kann, bis die Seele in dessen Körper einzieht – über den exakten Zeitpunkt der „Beseelung» (nach dem 40., 80. oder 120. Tag) herrscht Uneinigkeit unter Theologen, Rechtsgelehrten und den einzelnen Rechtsschulen. Diese Fristen sind auf die Vorstellung zurückzuführen, daß das Ungeborene in der ersten Zeit seiner Entstehung keine Seele besitzt, sondern sie erst später empfängt (diese Vorstellung war schon in der Antike bekannt).
Die malikitische Rechtsschule verbietet eigentlich grundsätzlich jede Abtreibung, macht jedoch bis zum 40. Tag nach der Empfängnis Ausnahmen. Die hanbalitische Schule verbietet die Abtreibung erst nach dem 40. Tag. Bis zum 120. Tag ist die Abtreibung für die hanafitische Schule, für einen großen Teil der schafiitischen und für die schiitischen Zaiditen möglich. Ihrer Auffassung nach bildet sich erst dann der Körper des Kindes aus. Wird die Milch einer stillenden Mutter durch eine erneute Schwangerschaft ‚giftig‘ oder wird dies befürchtet und kann der Säugling nicht auf andere Weise ernährt werden, liegt nach vielfacher Überzeugung ebenfalls eine Ausnahmeregelung für eine Abtreibung vor. Generell verboten ist die Abtreibung in Ägypten, Algerien, Pakistan und der Türkei. Ausnahmen gelten nur bei Gefahr für das Leben der Mutter.