„Im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen.
Lob sei Gott, dem Herrn der Menschen in aller Welt,
dem Barmherzigen und Gnädigen,
der am Tag des Gerichts herrscht.
Dir dienen wir und Dich bitten wir um Hilfe.
Führe uns den geraden Weg,
den Weg derer, denen du gnädig bist,
die nicht dem Zorn anheimfallen und nicht irregehen.“
Die erste Sure des Korans heißt „die Eröffnende“ oder „die Eröffnung“ (arab. „al-fâtiha“). Sie stellt insofern eine Besonderheit dar, als sie, wie etliche Korankommentatoren hervorheben, wie ein Einleitungsgebet vor den übrigen 113 Suren des Korans steht und wichtige Teile islamischer Dogmatik zusammenfaßt: Sie preist die Gnade und Barmherzigkeit Gottes, seine Herrschaft über alle Menschen, sie kündigt den Tag des Gerichts an, sie spricht vom Beistand Gottes zur Rechtleitung der Menschen und von der Verdammnis für die Verlorenen. Die Fatiha umfaßt nur wenige Verse wie einige der letzten, kurzen Suren des Korans. Die ihr folgenden Suren, Sure 2 bis 114, sind (mit einigen Abweichungen) in absteigender Länge angeordnet.
Die Fatiha hat für Muslime jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer dogmatischen Formulierungen Bedeutung. Sie ist ein häufig gesprochenes Gebet, etwa zum Beginn des rituellen fünfmaligen Pflichtgebets (arab. salat). Sie kann aber auch zu anderen Anlässen, z. B. bei Abschluß eines Heiratsvertrages, rezitiert werden. Während aus anderen Suren teilweise nur einzelne Verse herausgegriffen werden (berühmte Stellen sind z. B. der „Thronvers“ oder der „Lichtvers“), wird die Fatiha immer vollständig rezitiert.
Nach überwiegender islamischer und islamwissenschaftlicher Auffassung stammt die Fatiha bereits aus den ersten Verkündigungsjahren Muhammads in seiner Geburtsstadt Mekka, eine genauere Datierung ist jedoch schwierig. Damit kommt der Zeitraum zwischen 610 n. Chr., dem Beginn der Verkündigung des Islam und 622 n. Chr., der Auswanderung der erstem Anhänger Muhammads nach Medina (der „hidjra“), in Frage.
Ungeachtet dessen und ihrer Bedeutung scheint erwiesen zu sein, daß die Fatiha nicht in allen in frühislamischer Zeit existierenden Koranmanuskripten miteingeschlossen war. Die Korangelehrten in Kufa präferierten in der Zeit nach Muhammads Tod und vor Festlegung eines einheitlichen Kanons eine Textversion, die die Fatiha nicht enthielt.1
Besonders hohes Ansehen genießt die Fatiha im Volksislam. Man glaubt, daß ihr besonders viel „Segenskraft“ (arab. baraka) innewohne. Sie wird daher auch die „Heilung“ genannt und häufig am Krankenbett rezitiert, um dem Kranken durch ihre Segenskraft Genesung zu vermitteln. Sehr oft findet der Text der Fatiha für Amulette Verwendung. Auch bei Zusammenkünften islamischer Mystiker wird die Fatiha häufig rezitiert. Die islamische Überlieferung rühmt die Vorzüge der Fatiha und das Wohlgefallen bei Gott, das der Rezitierende dieser Sure bei Gott erwirbt.
So Arthur Jeffery. Materials for the history of the Text of the Qur’an. The Old Codices. E. J. Brill: Leiden, 1937, S. 21; R. Paret. Fatiha. In: Encyclopaedia of Islam. E. J. Brill: Leiden, 1991, Vol. II, S. 841. ↩