Scharia als einzige Quelle der Gesetzgebung
B O N N (25. Januar 2005) – Auf den Tag genau vor 25 Jahren wurde in Ägypten die Scharia als einzige Quelle der Gesetzgebung eingeführt. 1983 geschah dies mit unterschiedlicher starker Konsequenz im Sudan, 1979 im Iran und in Pakistan, seit 2000 in Teilen Nigerias und 1994 im Jemen und in Libyen. Darüber hinaus ist in vielen, weiteren islamischen Staaten eine Rückbesinnung auf eine „rein-islamische“ Gesetzgebung und Rechtsprechung zu beobachten. Nicht selten wird die (Wieder-)Einführung der Scharia durch Schauprozesse – vor allem wegen Ehebruchs – öffentlich demonstriert.
Göttliche Ordnung für alle Lebensbereiche
Aus Sicht der Muslime ist die Scharia die vollkommene Ordnung göttlicher Autorität, von Gott selbst geschaffen und deshalb nicht veränderbar. Sie gilt als einziges Frieden schaffendes System auf Erden, das zudem Mann und Frau Freiheit, Gerechtigkeit und Würde schenke. Die Scharia erhebt den Anspruch, alle Lebensbereiche eines Menschen zu regeln, d.h. sowohl den Ablauf der religiösen Rituale als auch die ganze Bandbreite rechtlicher Fragen des öffentlichen Lebens. Sie ist damit Ausdruck des islamischen Selbstverständnisses als Lebens- und Gesellschaftsordnung zugleich.
Quellen der Scharia: Koran, Überlieferung und Auslegungsschriften
Die Scharia stellt kein kodifiziertes Gesetzesbuch europäischen Musters dar. Sie setzt sich vielmehr zusammen aus
- den rechtlichen Anweisungen des Korans
- den rechtlichen Anweisungen der Überlieferung (das Leben Des Propheten, seine Worte und Taten)
- den Auslegungen vor allem der der frühislamischen Rechtsgelehrten
Einzelne Gelehrtenzirkel, aus denen später die verschiedenen Rechtsschulen entstanden, befassten sich bereits früh mit dem Problem, dass Mohammed der Gemeinde bei seinem Tod kein fertiges und umfassendes Gesetzeswerk hinterlassen hatte. Im Zuge der ersten Eroberungen wurden jedoch religiös begründete Entscheidungsfindungen für eine neu zuschaffende Rechtsordnung notwendig. Erste Quelle für die Entscheidung in der einzelnen Rechtsfrage war der Koran. Zu vielen brennenden Fragen der neuen Entwicklungen schwieg dieser jedoch. Als in rechtlichen Belangen gleichwertige Quelle wurde die Überlieferung hinzugezogen. Aus den Worten und Taten Mohammeds wurden verbotene, empfohlene und verwerfliche Handlungen abgeleitet. Die Auslegungen insbesondere der frühislamischen Gelehrten sind die dritte Quelle der Scharia, eine Interpretation von Koran und Sunna (Lebensweise Muhammads).
Vielehe, Zeugenrecht und Apostasie
Der Koran enthält etliche Vorschriften zum Ehe- und Familienrecht, so wird Frauen ausdrücklich die Vielehe verboten, während Männer nach überwiegender Auslegung bis zu vier Frauen haben dürfen (Sure 4,3). Der Interpretationsspielraum ist bei diesen Vorschriften recht gering, die Aussagen bieten relativ wenig Spielraum für alternative Auslegungen. Eine weitere Bestimmung besagt, dass die Zeugenaussage einer Frau nur halb so viel zählt wie die eines Mannes (Sure 2,282). Weitestgehend unstrittig unter den Theologen ist zudem die Forderung der Scharia nach der Todesstrafe für Abgefallene, berichtet doch die Überlieferung (nicht der Koran), dass Mohammed selbst Abtrünnige vom Islam zum Tode verurteilte und ihre Hinrichtung anordnete.
Die Scharia definiert die Menschenrechte
Islamische Kernländer haben eine Aufklärung und Religionskritik im europäischen Sinn noch nicht erlebt. Lediglich Auslegungsfragen werden diskutiert, nicht die Gültigkeit des nach muslimischer Auffassung ewigen, göttlichen Gesetzes. Die Bonner Islamwissenschaftlerin Dr. Christine Schirrmacher weist auf das spezielle, islamische Menschenrechtsverständnis hin, das sich aus diesem Absolutheitsanspruch der Scharia ergibt. Mit ihrer generellen Überordnung über alle von Menschen geforderten Rechte hat zum Beispiel ein vom Islam Abgefallener sein Recht auf Leben aus Sicht der Mehrheit muslimischer Gelehrter verwirkt.
Nachdruck honorarfrei, Belegexemplar wird erbeten.