Im Gespräch mit Dr. Nadeem Elyas, Ehrenmitglied des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD)
Frage: Sie kommen aus Saudi-Arabien, sind Sie Wahhabit?
Dr. Nadeem Elyas: Ich empfinde mich nicht als Wahhabit, ich bin Hanafit. Der Wahhabismus ist keine Religion, sondern eine islamische und gesellschaftspolitische Erneuerung, keine Rechtsschule in diesem Sinne.
Frage: Bekommen Sie aus Ihrem Heimatland Geld für Ihre Arbeit?
Dr. Nadeem Elyas: Wir bekommen von keiner Stelle, weder von deutscher noch von saudiarabischer Seite eine Unterstützung, wir finanzieren unsere Arbeit durch Mitgliederbeiträge und Spenden. Zudem finanzieren sich unsere Projekte selbst.
Frage: Sie sind die drittgrößte islamische Organisation, wie ist ihre Stellung zu den beiden weiteren „Riesen“?
Dr. Nadeem Elyas: Der Zentralrat vertritt seine Mitglieder: 19 Dachorganisationen mit circa 400 Moscheegemeinden, wenn man von 2000 Moscheegemeinden in Deutschland ausgeht, und die Ditib 700 bis 800 Moscheen und der Islamrat 500 Moscheegemeinden hat, so sind das Größen, die einen Vergleich erlauben. Und abgesehen davon sind wir glücklich mit dem, was wir haben.
Frage: Wünschen Sie sich da nicht, dass alle muslimischen Gemeinden unter einem Dachverband vereint sind?
Dr. Nadeem Elyas: Wir arbeiten an Entwürfen für eine einheitliche Struktur in Deutschland, auch wenn die Ditib zu Anfang nicht dabei ist. Aber jede Organisation hat ihren Platz, wenn sie das wünscht.
Frage: Die Ditib hat den Papst bei seinem Besuch in Köln eingeladen, Sie waren ebenfalls dabei …
Dr. Nadeem Elyas: Ich habe das Angebot dankend angenommen, da es in die richtige Richtung geht. Gleichzeitig habe ich meine Kritik laut werden lassen, dass die Gästeliste nicht ausgewogen ist, dass ich vor allem den Islamrat vermisse und die deutschen Muslime überhaupt.
Frage: Apropos „deutsche Muslime“, warum hat der Zentralrat so viele deutsche Konvertiten als Ehrenmitglieder?
Dr. Nadeem Elyas: Die Satzung schreibt das nicht vor, wir haben Personen in diesen Beirat gewählt, die uns als kompetent und wichtig erschienen, da die Situation der Organisationen im Umbruch ist, werden wir das auch nicht mehr ändern.
Frage: Darunter ist auch die berühmte Konvertitin Fatima Grimm, was hat sie zu dem Privileg der Ehrenmitgliedschaft gebracht?
Dr. Nadeem Elyas: Sie ist eine der ersten deutschen muslimischen Frauen, eine Frau der ersten Stunde sozusagen, und war an der Übersetzung vieler Bücher maßgebend beteiligt und hat sich mit dem Thema Erziehung von Generationen beschäftigt.
Frage: Sie hat auch den Aufsatz „Erziehung unserer Kinder“ herausgegeben, wo es Zitate gibt wie „Was für eine große Auszeichnung es ist, für die Sache des Islam mit der Waffe in der Hand kämpfen zu können.“ Ist das mit dem Selbstverständnis des Zentralrates vereinbar?
Dr. Nadeem Elyas: Sie hat Stellung genommen und deutlich gesagt, dass dieser Text dreißig Jahre alt ist und damit auf keinen Fall den bewaffneten Kampf meint, und sie diesen für heute und in dieser Zeit auf keinen Fall befürwortet. Im Kontext der Aussage war das auch nicht so zu verstehen.
Frage: Es gibt weitere Zitate, so zum Beispiel „Sollte ihm die Möglichkeit verwehrt sein, aktiv an diesem Kampf teilzunehmen, dann kann man als Muslim ebenso mit Wort und Schrift für die Sache Gottes streiten“.
Dr. Nadeem Elyas: Wenn man Fatima Grimm den Dschihad definieren lässt, so wird sie sagen, dazu gehört der gesellschaftliche und soziale Einsatz mit allen Mitteln und in allen Bereichen sowie die Selbstverteidigung, die überall legitim ist, auch nach internationalem Recht. Und wenn jemand den Dschihad in Form von Selbstverteidigung vornimmt und dabei fällt, so kann man sicher sein, dass dies auch von Gott gewollt ist. Sollte dies aber nicht möglich sein, so ist auch der Einsatz mit Wort und Tat eine Art Dschihad. Und der Islam erlaubt den Kampf, Dschihad nur im Falle der Selbstverteidigung.
Frage: Noch zwei Fragen zu der „Islamischen Charta“ , die der Zentralrat veröffentlicht hat: Unter Nummer 8 heißt es „Muslime wollen im täglichen Leben aktiv dem Gemeinwohl dienen.“ Was verstehen Sie unter „Gemeinwohl“?
Dr. Nadeem Elyas: Alles, was dem Staat und unserer Gesellschaft dient, ist islamisch legitimiert und kann nach islamischer Auffassung als Gottesdienst angesehen werden.
Frage: In Absatz 10 wird von der islamischen Minderheit gesprochen, welche Visumserteilung, Aufenthaltsgenehmigung als „Verträge“einzuhalten hat. Warum wird an dieser Stelle das religiös konnotierte Wort „Verträge“ verwendet?
Dr. Nadeem Elyas: Dieser koranische Begriff stellt für jeden Muslim eine höchste Verbindlichkeit dar. Man muss einen Vertrag halten und man darf ihn nicht brechen. Es gibt Verträge, die kündbar sind, dann muss der Muslim sie auflösen, aber nicht brechen. Staatsbürgerschaft und Treue zum Gesetz sind nicht aufkündbar. Und wenn das einem Muslim nicht gefällt, dann muss er Deutschland verlassen.
Frage: Was ist ihr Wunsch für die Zukunft der Muslime?
Dr. Nadeem Elyas: Dass sie deutlicher werden in der Gesellschaft. Dass sie das, wovon sie überzeugt sind, von den Werten der Religion nach außen tragen. Leider wird nur wahrgenommen, was Terroristen als Islam bezeichnen und wir in Deutschland, die deutschen Muslime und die Muslime in Deutschland, müssen das Mehrfache an Mühe und Leistung und Geld investieren, damit das Wahre und Schöne im Islam deutlicher wird.
Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Gespräch führte Judith Wanner (Tübingen) im Jahr 2005 und wurde freundlicherweise dem Institut für Islamfragen zur Verfügung gestellt.