Europas Schweigen zur Christenverfolgung kommt unterlassener Hilfeleistung gleich
B O N N (30. Oktober 2006) – Entschiedeneren politischen Einsatz für Religionsfreiheit verfolgter Christen vor allem in den islamischen Ländern forderte jüngst der Theologe Thomas Schirrmacher von der Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz. Künftig sollten Menschenrechte auch für Christen so offensiv eingeklagt werden wie zum Beispiel für muslimische Kurden, Bosnier, Kosovaren oder Häftlinge in Guantanamo. Schirrmacher verwies auf den „Welt am Sonntag“-Redakteur Till Stoldt, der den EU-Staaten zuletzt eine „Zurückhaltung, die unterlassener Hilfeleistung gleichkomme“ vorgeworfen hatte. Öffentliche Proteste westlicher Regierungen beispielsweise reichten oft schon aus, um Todesstrafen für einen Konvertiten in islamischen Ländern wie Iran, Afghanistan oder Nigeria abzuwenden. In einer aktuellen Stunde zum Thema Christenverfolgung hatte im Jahre 1999 die damalige Bundesregierung bestritten, dass die Christenverfolgung – mit Ausnahme von Indien und Indonesien – weltweit zunehme. Damit habe die Regierung aber verkannt, dass diese beiden Länder zusammen ein Viertel der Weltbevölkerung ausmachten und Christenverfolgung hier im Laufe der letzten 20 Jahre alltäglich geworden sei, so Schirrmacher.
Islamisches Menschenrechtsverständnis schränkt Religionsfreiheit ein
Die starke Verfolgung der Christen – vor allem in islamischen Ländern – führte Schirrmacher unter anderem auf das allgemeine religiöse Erwachen in diesen Ländern und die zunehmende Verknüpfung von Religion und Nationalismus zurück. Die Türkei werde beispielsweise von islamischen Parteien regiert. Ein Türke müsse eigentlich Muslim sein, so dass eine Passänderung den Konvertiten schon jahrelange Gerichtsprozesse kosten könne. Auch in Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land, werde eine Wiederbelebung der islamischen Tradition angestrebt und Anhänger sowohl des Christentums als auch des Hindu-Buddhismus verfolgt. Die 1990 in Kairo erarbeitete islamische Menschenrechtserklärung stelle zudem alle Rechte und Freiheiten unter den Vorbehalt der Übereinstimmung mit der Scharia, dem islamischen Gesetz, das unter anderem die Todesstrafe für den Abgefallenen fordert. Dagegen beinhalte Religionsfreiheit nach Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen gerade auch den Glaubenswechsel sowie die öffentliche Ausübung der Religion und die friedliche Mission.
„Glaube ohne Zwang“ hat sich nach Religionskriegen in Europa durchgesetzt
Nach dem biblischen Zeugnis dagegen seien alle Menschen, nicht nur die Gläubigen, im Bilde Gottes geschaffen. Aber erst nach erbitterten Religionskriegen habe sich in Europa in den letzten Jahrhunderten die allgemeine Überzeugung durchgesetzt, dass „der biblische Glaube ein Glaube sei, der sich mit Zwang überhaupt nicht verträgt, den man nicht erzwingen oder erkaufen kann“, so Schirrmacher. Während man die Religionsfreiheit in der Französischen Revolution eher gegen die traditionell staatsnahe Kirche durchgesetzt habe, seien es in der Amerikanischen Revolution und den darauf folgenden Revolutionen in Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz vor allem die Christen gewesen, die sich für die freie Glaubensentscheidung und das freie Bekenntnis stark gemacht hätten. Vielerorts setzten sich Christen – vor allem die Verfolgten – lautstark für Menschenrechte und Religionsfreiheit aller Menschen ein und befürworteten heute fast ausschließlich die Trennung von Staat und Kirche und die Stärkung des staatlichen Gewaltmonopols. Das bedeute, dass man sich einerseits nicht selbst gegen Gewalt und Verfolgung schützen könne wolle, aber andererseits auch staatlichen Schutz gegen solche benötige, die Gewalt immer noch als legitimes Mittel in religiösen Auseinandersetzungen betrachteten, erklärte Schirrmacher.