Türkei: Die alevitische Minderheit darf keinen eigenen Versammlungsort bauen

Institut für Islamfragen

Islamischer Minderheit der Aleviten wird Bauvorhaben untersagt

(Institut für Islamfragen, mk, 10.04.2006) In der Stadt Sultanbeyli im Stadtteil Yavuz Selim will die dortige alevitische Mehrheit trotz eines bestehenden Verbots durch die Baubehörde und gegen den Bürgermeister einen alevitischen Versammlungsort, ein sogenanntes „Cem-Evi“ auf ihrem Grundstück bauen. Der Bürgermeister, Alaattin Ersoy, gab keine Baugenehmigung für die geplante Grundsteinlegung des Versammlungsorts am 8/9. April 2006. Das geplante Bauvorhaben passe nicht in den Stadtteil, so Ersoy. Die Stadt hätte den Aleviten einen Bauplatz 100 Meter entfernt gezeigt, verteidigte sich Ersoy. Der Vorsitzende des alevitischen „Pir Sultan Abdal“ Vereins, Sadegül Cavus, dagegen fragt, wo denn die Stadt seit drei Jahren gewesen sei:

„Seit drei Jahren versuchen wir, für uns eine Genehmigung von der Stadt für einen Versammlungsort zu bekommen. Die Stadt sagte uns: ‚Ihr seid Muslime. Der Anbetungsort für Muslime ist die Moschee’ [Aleviten besuchen nicht die sunnitischen Moscheen, sondern haben eigene Versammlungsräume]. Daher haben wir diesen Platz gekauft. Außerdem sind alle Gebäude in dieser Gegend – sogar das Bürgerhaus – ohne Genehmigungen gebaut worden. Es stimmt einfach nicht, wenn jetzt gesagt wird, man hätte uns einen Platz zum Bauen gezeigt. Jetzt sagen sie: ‚Überspannt den Bogen nicht, wir helfen Euch.’ Aber wo waren sie die ganzen drei Jahre zuvor? Wir wollen keine Unruhe stiften, sondern einen Platz der Anbetung (nach alevitischer Art).“

Cavus weist darauf hin, dass in besagtem Stadtteil die große Mehrheit aus Aleviten besteht:

„Wir wollten nicht, dass der Stadtteil umbenannt wird zu Yavuz Selim.“

Quelle: www.milliyet.com.tr/2006/04/07/guncel/agun.html

Kommentar: Aleviten gehören zu einer islamischen Sondergruppe, die mehr den Schiiten nahe steht und einen gemäßigten Islam vertritt. Sie beten nicht in der Moschee, halten nicht die Fünf Säulen des Islam und treffen sich in ihren eigenen Versammlungshäusern. Ein älterer Lehrer, „dede“ genannt, tradiert ihre islamische Sonderlehre. Etwa 20% der Menschen in der Türkei sind Aleviten, darunter viele Kurden. Aleviten werden traditionell von sunnitischen Muslimen gering geachtet und benachteiligt.

Sultan Yavuz Selim (1466–1520), der nach der gewaltsamen Absetzung seines Vaters Bayazids II. im Jahr 1512 Sultan wurde, sicherte seine Herrschaft durch Eroberungen, erbitterte Kämpfe (besonders im schiitischen Persien) und die Ermordung zahlreicher Familienmitglieder. Unter Yavuz Selim kamen nicht nur Syrien und Ägypten, sondern – gegen erbitterten arabischen Widerstand – auch die „Heiligen Städten“ des Islam, Mekka und Medina, unter osmanische Herrschaft. Yavuz Selim galt nicht nur als Eroberer, sondern auch als Reformer und Dichter. Die bisher größte repräsentative Moschee in Mannheim ist nach Yavuz Selim benannt.