Umfrage in der Türkei zeigt die Zerrissenheit des Landes
(Institut für Islamfragen, mk, 25.06.2006) Eine Umfrage der Sabanci Universität im März/April 2006, geleitet von Prof. Ersin Kalaycioglu und Ali Carkoglu unter 1846 Personen in 23 türkischen Städten und Bezirken, brachte einige interessante Ergebnisse zu Tage. 44% der Befragten waren in Dörfern geboren und 28% in den Armenvierteln der Großstädte. 42,6% der Befragten absolvierten nur die Hauptschule.
- 40% glauben, dass eine Militärregierung besser wäre als eine demokratisch gewählte Regierung
- 57,3% unterstützen einen EU-Beitritt (2004 noch 72,2%)
- 25% glauben, dass religiösere Muslime in der Türkei unterdrückt werden (1999 waren es noch 42,4%)
- 9% möchten einen islamischen Staat mit islamischem Recht, 76,6% sprachen sich dagegen aus
- 68,5% halten das Kopftuchverbot in Schulen und öffentlichen Behörden für eine religiöse Unterdrückung
- 74,2% sind der Auffassung, dass sie als Muslime die Freiheit haben, ihren Alltag entsprechend zu gestalten
- 61% würden ihrer Tochter verbieten, einen Nichtmuslim zu heiraten
- 65% möchten, dass missionarische Aktivitäten, die nicht von Muslimen durchgeführt werden, sondern z. B. von Christen, verboten werden
- 46% überlegen, ob sie ihre Kinder in eines der islamischen Privatgymnasien (imam hatip Schulen) schicken sollen
- 31% finden es falsch, wenn ihre Kinder nach Geschlechtern gemischt in den Schulklassen (im Gymnasialalter) lernen
- 50% plädieren für einen freiwilligen Religionsunterricht (momentan ist der islamische Religionsunterricht Pflicht)
- 87% sind dafür, dass Ehrenmorde bestraft werden. 51% denken aber, dass die Frauen selbst daran schuld sind
- 67% halten neben der standesamtlichen Trauung eine islamische Feier (imam nikah) für nötig
- 49% sind dafür, dass im Fastenmonat tagsüber kein Essen und keine Getränke von Gaststätten und Cafés angeboten werden bis zum abendlichen Fastenbrechen (Anmerkung: obwohl nach islamischer Lehre Reisende, Kranke, Frauen während der Menstruation und Schwangerschaft sowie Kinder nicht fasten müssen)
- 60% sehen in der mangelnden Umsetzung des Islam den Grund für Erfolglosigkeit im Leben
- 63% denken, dass ohne Betrug kein Geld zu machen ist
- 50% halten jedes Mittel für recht, wenn es nur zum Erfolg führt
- 92% vertrauen niemand anderem
- 51% würden Verletzungen der Menschenrechte erlauben, wenn die Türkei in Gefahr wäre
- 42% denken, dass Touristen/Touristinnen die Moral des Landes verderben und 46% finden zugezogene Ausländer/innen gefährlich, weil sie der türkischen Kultur schaden
Quelle: www.radikal.com.tr/haber.php und www.hurriyet.com.tr/gundem/4577889.asp
Kommentar: An den Zahlen wird deutlich, wie sehr die Türkei hin und her gerissen ist zwischen der laizistischen Tradition – garantiert durch die Armee – und dem Wunsch nach freier Religionsausübung, wohlgemeint islamischer Religionsausübung. Alle anderen Glaubensgemeinschaften sollen dieselben Freiheiten nicht haben. An dem Bild, das Touristen in der Türkei hinterlassen, wird besonders die sexuelle Unmoral des Westens angegriffen, wohingegen die Geschäftsethik eine untergeordnete Rolle spielt. Durch die Erfahrung von Betrug auf vielen Gebieten bröckelt als natürliche Folge das Vertrauen in andere Mitbürger.