Pressemitteilung anlässlich des Kurdenkonfliktes

Institut für Islamfragen

Pogromstimmung gegen Kurden in türkischen Städten

B O N N (10.11.2007) – Nach den blutigen Krawallen in Berlin-Kreuzberg blickt man auch in Deutschland besorgt auf die Eskalation des türkisch-kurdischen Konflikts im Nordirak. Dabei verdeutliche eine regelrechte nationale Pogromstimmung gegen die Kurden in vielen türkischen Städten die Brisanz der Frage nach der Identität der türkischen Nation, erklärt Carsten Polanz vom Institut für Islamfragen. Türkische Politiker reduzierten das Kurdenproblem in öffentlichen Stellungnahmen zwar gerne auf den Kampf gegen den Terrorismus. Aber die gänzliche Ablehnung der Existenzberechtigung des kurdischen Volkes durch nationalistisch eingestellter Türken einerseits und die Solidaritätseffekte mit der PKK auf Seiten der rund 12 Millionen Kurden andererseits offenbarten eine tiefe Spaltung der türkischen Gesellschaft, so Polanz. Die größte ethnische Minderheit der Türkei wird weiterhin als Fremdkörper wahrgenommen und wehrt sich ihrerseits gegen eine vollständige Assimilation.

Gesellschaftliche Polarisierung erschwert politische Lösungen

Auch wenn viele Kurden die terroristischen Aktionen der marxistisch-leninistischen „Arbeiterpartei Kudistans“ (PKK) ablehnen, unterstreichen sie gleichzeitig ihre Forderung nach stärkerer Anerkennung und Autonomie kurdischer Sprache und Kultur. Türkische Nationalisten lehnen eine solche Eigenständigkeit mit der Forderung nach einem reinen Türkentum ab und beschwören die Gefahr, dass irakische und türkische Kurden die unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk gefährden könnten. Als Reaktion auf kurdische Aufstände zielten nationalistische Militärs und Politiker in der Vergangenheit immer wieder auf die Unterdrückung des kurdischen Volkstums und die Türkisierung kurdischer Kultur. Die aufgeladene Atmosphäre in der türkischen Gesellschaft erschwerte die Umsetzung erster politischer Maßnahmen zur Lösung der Kurdenfrage wie z. B. die Zulassung des Kurdischen in Hörfunk- und Fernsehsendungen im August 2002.

Hintergrund: Ziel und Struktur der PKK

Die PKK wurde in den Siebzigern gegründet und versucht seitdem, kurdische Interessen mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Zunächst strebte sie einen unabhängigen sozialistischen Kurdenstaat auf türkischem Gebiet an. Seit 1993 fordert sie nur noch weitgehende Autonomie für die Kurden. Auch nach der Festnahme ihres Führers Abduallah Öcalan im Februar 1999 und seiner Verurteilung zu lebenslanger Haftstrafe ist die Partei streng hierarchisch organisiert. Schätzungen ihrer Mitglieder liegen zwischen 3500 und 7000 bewaffneten Männern und Frauen, wobei der Frauenanteil mit 40 Prozent erstaunlich hoch liegt. Die PKK erfährt den größten Zulauf durch die kurdischen Flüchtlinge in Südostanatolien, die oft ohne Arbeit und Bildungsperspektiven da stehen.

Kritischer gegenüber der PKK sind jene Kurden eingestellt, die sich zur vollständigen Assimilation bereit erklärt haben und dafür mit höheren Rängen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur belohnt wurden.

Wie in ihrer Anfangszeit bauen die einzelnen PKK-Zellen bis heute auf eine Art Nadelstichtaktik mit überraschenden Überfällen und Attacken im türkisch-irakischen Grenzgebiet und in einzelnen türkischen Städten. Zuletzt entführte man acht türkische Soldaten. Seit 1984 sind dem bewaffneten Kampf schätzungsweise 37.000 Menschen zum Opfer gefallen. Sowohl die PKK als auch das Militär nehmen in ihren Angriffen und Vergeltungsschlägen den Tod von Zivilisten als vermeintliche Kollaborateure in Kauf. Beobachter warnen türkische Politiker und Militärs mit Blick auf einen möglichen ausgedehnten Bodenangriff vor einem aussichtslosen Guerillakampf in der zerklüfteten Bergregion und vor einem daraus folgenden Flächenbrand in der ganzen Region.

Zum freien Abdruck, auch einzeln und auszugsweise – Belegexemplar erbeten.