Saudi-Arabien: 60-Jähriger will 10-jähriges Mädchen heiraten
B O N N (24. Juli 2008) – Eigentlich ist die Zwangsehe im Islam verboten. Die zukünftige Ehefrau soll nach verschiedenen Verlautbarungen einflussreicher islamischer Theologen in die Heirat einwilligen und mit dem Ehekandidaten einverstanden sein. Daher lehnen viele Muslime eine Zwangsheirat als unislamisch ab. Allerdings haben besonders junge Mädchen und Frauen in der Praxis dort, wo wirtschaftliche Not und Bildungsarmut herrschen sowie durch örtlich verfestigte Machtstrukturen verursachte Abhängigkeiten, oft wenig Mitspracherecht beim Zeitpunkt ihrer Eheschließung und der Wahl des Ehekandidaten. Die Familie beschließt dann eher eine Verbindung, die der ganzen Gemeinschaft dienlich ist als dass die einzelne Frau individuell entscheiden oder sogar ledig bleiben könnte, erklärte Christine Schirrmacher vom Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz anlässlich eines neuen Vorfalls in Saudi-Arabien. Dort hatte laut Bericht von der saudi-arabischen Tageszeitung „al-Watan“ ein 60-Jähriger seinem Gastgeber, der ihm spaßeshalber mitgeteilt hatte, dass er auf keinen Fall noch eine Frau zu seiner jetzigen Ehefrau hinzu heiraten könne, einen Betrag von 100.000 saudischen Riyal für dessen 10-jährige Tochter angeboten. Nach Berichten der saudischen Zeitung „al Medina“ vom 19. Juli 2008 waren bereits alle notwendigen Unterlagen besorgt worden, bevor Menschenrechtler eine 5-jährige Aufschiebung des Ehevollzugs durchsetzen konnten. Diese Art arrangierte Ehen von minderjährigen Mädchen in Saudi-Arabien widersprächen den internationalen Abkommen zum Kinderschutz, die Saudi-Arabien unterzeichnet habe, erklärte der saudische Menschenrechtler Zuhai al-Haraithi.
Das Vorbild Muhammads
Wie im Fall der Polygamie, wird zur Begründung der Heirat von noch minderjährigen Mädchen von deren Befürwortern häufig auf den Vorbildcharakter des Propheten Muhammad hingewiesen. Nach einer als sehr glaubwürdig eingestuften Überlieferung Al-Bukharis soll Muhammad mit 53 Jahren die Ehe mit der 9-jährigen Aischa vollzogen haben, nachdem er sie bereits drei Jahre zuvor geheiratet hatte. Wie in allen anderen Lebensbereichen gilt Muhammads Handeln einigen Muslimen auch in diesem Fall als nachahmenswert. Allerdings ist die Heirat mit minderjährigen Mädchen in vielen islamischen Ländern gesetzlich untersagt und ähnlich wie die Polygamie keineswegs die Regel, sondern eher die Ausnahme. In den meisten islamischen Ländern ist das Heiratsalter für Mädchen inzwischen auf 16-18 Jahre und für Jungen auf etwa 18 Jahre heraufgesetzt worden. Während im städtischen Bereich junge Frauen aufgrund guter Schul- und teilweise auch Berufsausbildung oft erst im Alter zwischen 20 und 25 Jahren heiraten, werden Mädchen im ländlichen Bereich nicht selten im Alter von etwa 12–16 Jahren verheiratet.
Traditionelle Geschlechter- und Ehrvorstellungen als Grund für Zwangsheiraten
Gründe für eine frühe, arrangierte Verheiratung der Töchter in ländlichen Gebieten können sowohl wirtschaftliche Nöte, frühe Verabredungen zwischen den Familien wie auch die Sorge um den Erhalt des guten Rufes der Familie sein. Letzteres ist eng verbunden mit den traditionellen nahöstlichen Vorstellungen von Ehre und Schande, wonach die Frau Trägerin der Familienehre ist und die männlichen Familienmitglieder sie und die ganze Familie vor jeglicher Schande schützen müssen. Folglich wird der Bewegungsspielraum der heranwachsenden Mädchen mit zunehmendem Alter im traditionellen Bereich immer stärker eingeschränkt und das Bestimmungsrecht des in religiöser, gesellschaftlich-familiärer und wirtschaftlicher Hinsicht geeigneten Partners allein dem Vater zugesprochen. Stehen diese Gründe dem Interesse der Tochter entgegen, kann es zur Zwangsheirat kommen, bei der die Ehe nicht nur arrangiert, sondern ohne jedes Mitspracherecht der betroffenen Tochter geschlossen wird – manchmal als Einlösung eines schon vor der Geburt gegebenen Versprechens.
Laut der Menschenrechtsorganisation „Terres des Femmes“ ist das Problem der Zwangsheirat durch die wachsende Zahl von Migranten und Migrantinnen in Europa längst auch ein europäisches Problem. Dort, wo Zwang ausgeübt wird, reichten die Maßnahmen von psychischem Druck und emotionaler Erpressung bis hin zu physischer Gewalt und expliziten Morddrohungen, wenn die Tochter sich den Heiratsplänen ihrer Familie widersetze und damit nach traditioneller Vorstellung die Familienehre verletze. Es ist daher geboten, sich mit dem Phänomen der arrangierten Ehe bzw. Zwangsehe in Europa intensiver auseinanderzusetzen sowie Behörden und Gerichte durch Information und Aufklärung über die traditionellen Ehr- und Familienauffassungen in Kenntnis zu setzen.
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