B O N N (03. November 2008) – Als Anlass für eine Grundsatzkritik am westlichen Kapitalismus und eine verstärkte Werbung für eine islamische Wirtschaftsethik und schariakonforme Anlagen nutzen einige islamische Gelehrte und wirtschaftsexperten die weltweite Finanzkrise, erklärte Carsten Polanz vom Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz. Laut dem einflussreichen ägyptischen Fernsehprediger und führenden Rechtgutachter von Qatar, Yusuf al-Qaradawi, hat der Zusammenbruch des auf „Wucher und Papierbuchungen“ gründenden kapitalistischen Systems gezeigt, dass sich die Wirtschaftsphilosophie des Islams bewährt habe. Al-Qaradawi, der in der gesamten islamischen Welt wie bei der muslimischen Minderheit in Europa hohes Ansehen genießt, rief die Muslime dazu auf, von der Krise zu profitieren und auf diese Weise den Triumph der islamischen Nation (umma) herbeizuführen, die über die geistlichen und materiellen Ressourcen für den Sieg verfüge.
Ethische Vorgaben für Investitionen
Da das islamische Recht (Scharia) den Anspruch erhebt, das gesamte private und öffentliche Leben des Gläubigen und der Gesellschaft zu bestimmen, gelten für den gläubigen Muslim auch für das Wirtschaftsleben und die Finanzordnung religiöse Vorgaben, die entweder direkt aus dem Koran oder der Überlieferung (der Taten und Aussprüche Muhammads) entnommen oder daraus von Rechtsgelehrten im Laufe der Zeit und in der Auseinandersetzung mit jeweils neuen Entwicklungen abgeleitet worden sind. So gilt es grundsätzlich als verboten (haram), in solche Unternehmen zu investieren, die ihr Geld mit Waffenhandel, Pornographie, Alkohol und Tabak, Glücksspiel oder dem Verkauf von Schweinefleisch oder solchem Fleisch, das nicht nach islamischen Vorschriften geschächtet worden ist, verdienen.
Das Zinsverbot und der dritte Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus
Von grundlegender Bedeutung für die islamische Wirtschaftsethik ist zudem das koranische Zinsverbot. So heißt es unter anderem in Sure 2,278f.:
„Ihr Gläubigen! Fürchtet Allah! Und verzichtet auf das, was noch übrig ist an Zinsen, wenn (anders) ihr gläubig seid! Wenn ihr (es) nicht tut, dann sei euch Krieg angesagt von Allah und seinem Gesandten! Wenn ihr euch jedoch bekehrt (und auf weiteres Zinsnehmen verzichtet), steht euch euer (ausgeliehenes) Kapital (als Eigentum) zu, so dass weder ihr Unrecht tut (indem ihr Zins nehmt) noch euch Unrecht getan wird (indem man euch um euer Kapital bringt).“
Gewinne sollen nach Auslegung muslimischer Theologen daher nur aus Handelsgeschäften und der Vermietung von Gütern erzielt werden können. Geldzinsen, bei denen der Gewinn allein auf dem Zeitfaktor beruht, werden allgemein abgelehnt. Das Online-Journal Islamic Finance betont, dass Geld nicht als „selbstarbeitende Gewinnanlage“ sondern als „Mittel zum Wohlstand der Gesamtheit der muslimischen Gemeinschaft“ betrachtet werden müsse. Daher soll einerseits das Privateigentum geschützt werden, andererseits sollen dem Staat Regulierungsmöglichkeiten bei Kollisionen der individuellen wirtschaftlichen Freiheit mit dem Allgemeinwohl eingeräumt werden. Muslimische Gelehrte haben daher immer wieder eine Art dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus propagiert.
Suche nach Wegen, das Zinsverbot zu umgehen
Andererseits sind internationale Geldgeschäfte ohne Zinsen de facto kaum praktikabel. Daher haben sich in dem Versuch, das Zinsverbot einerseits nicht für ungültig zu erklären – da dies unzulässige Kritik an der Scharia wäre – es aber in der Praxis zu umgehen und wettbewerbsfähige Alternativen zu den konventionellen Anlagen anzubieten, im Islamic Finance-Bereich unter anderem folgende Formen herausgebildet:
- Bei der so genannten „murabaha“ handelt es sich z.B. um eine so genannte Aufschlagfinanzierung. Statt der verzinsten Gelddarlehen kaufen die Banken die benötigten Sachgüter für ihre Kunden und verkaufen sie anschließend mit einem zuvor fest vereinbarten Aufschlag per Ratenzahlung an ihre Kunden.
- Bei der so genannten „musharaka“ investieren Kunden und Banken gemeinsam in ein bestimmtes Projekt und teilen sich Gewinn und Verlust nach ihrem jeweiligen prozentualen Kapitalanteil an der Investition. Hans-Georg Ebert, Leipziger
Professor für Islamisches Recht, verglich in „Die Zeit“ die Versuche des Islamic Banking, dem Zinsverbot auszuweichen, mit den „1000 ganz legalen Steuertricks“ hierzulande.
Zunehmende Nachfrage nach Scharia konformen Anlagen
Nachdem Mitte der 60er Jahre im ägyptischen Mit-Ghamr die erste Bank ohne Zinsen arbeitete, sind in den letzten gut 40 Jahren über 300 Banken in mehr als 75 Ländern hinzugekommen. Die Zahl der Kunden wurde bereits Mitte des Jahres auf über 1 Mio. geschätzt. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise ist die Nachfrage nach schariakonformen Anlagen gerade auch in westlichen Ländern –vor allem in Großbritannien – noch einmal enorm gestiegen. Das jährliche Wachstum wird auf 10 – 15% geschätzt. Auch deutsche Banken und Versicherungen bieten bereits in islamischen Ländern schariakonforme Anlagen an und planen ähnliche Angebote für die nächsten Jahre auch in Europa. Die deutsche Bundesbank hat bereits angeregt, die rechtlichen und bankaufsichtlichen Voraussetzungen für islamische Banken zu schaffen. Banken und Versicherungen, die im Islamic Finance-Bereich tätig werden, müssen allerdings die Scharia-Konformität ihrer Anlagen von einem Gremium islamischer Rechtsgelehrter (einem sog. Shariah Board) prüfen lassen. Angesichts
der zunehmenden Ähnlichkeiten der Islamic Finance Anlagen mit konventionellen Angeboten arbeitet man in einer internationalen islamischen Regulierungsorganisation, der Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Institutions, bereits an der Verschärfung der Bedingungen für die islamische Legitimität der Anlagen. In dem Wunsch, nur schariakonforme Anlagen zuzulassen bzw. dem an die Geldinstitute gerichteten Anspruch, nur in islamkompatible Firmen und Güter zu investieren, kommt einmal mehr der ganzheitliche Anspruch der Scharia zur Regulierung aller Lebensbereiche zum Tragen, auch wenn insgesamt wenig Konkretes aus dem Koran und der Überlieferung zum Thema Wirtschaft zu entnehmen ist.
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