Pressemitteilung zur Forschungsarbeit von Abdulkarim Sorush

Institut für Islamfragen

Sorush bezeichnet Koran als menschliche Schöpfung und potenziell fehlbar

B O N N (23. April 2008) – Als äußerst bemerkenswerten Vorstoß bezeichnet Dr. Christine Schirrmacher vom Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz die neusten Aussagen des schiitisch-iranischen Intellektuellen und Philosophen Abdulkarim Sorush über die menschliche Schöpfung und die potenzielle Fehlbarkeit der koranischen Offenbarung. Sorush hatte in einem Interview mit dem niederländischen Hörfunkreporter Michel Hoebink zu seinem neuesten Buch „The Expansion of the Prophetic Experience“ die Einflüsse des sozialen und familiären Hintergrunds, Muhamamds, den Einfluss von Muhammads Charakter und dessen wechselhaften Psyche auf die einzelnen Aussagen des Korans betont. Mohammad habe daher nicht nur die Sprache seiner Zeitgenossen benutzt, sondern sei auch im Hinblick auf sein Wissen über die Erde, das Universum und die menschliche Genetik genauso begrenzt und fehlbar gewesen wie seine Zeitgenossen. Mohammad sei Prophet und kein Wissenschaftler oder Historiker gewesen. Der Koran sei demnach nur in rein religiösen Fragen unfehlbar. Sorushs Ansatz hat auch Konsequenzen für seine Sicht des islamischen Gesetzes, der Scharia. So betrachtet er die koranischen Forderungen nach körperlicher Bestrafung für bestimmte Vergehen als Produkt der damaligen Kultur, die nicht zur essentiellen und zeitlosen Botschaft des Korans gehörten.

Empörung im Iran: Ayatollah fordert Bestrafung des Abtrünnigen

In seinem Heimatland Iran haben Sorushs Thesen eine kontroverse Diskussion und einen Aufschrei der Empörung unter den geistlichen Führern der islamischen Republik ausgelöst. Hossein Nouri Hamedani, ein einflussreicher Ayatollah aus Qom, warf Sorush vor, die Wurzel der Prophetie und Offenbarung zu zerstören. Sorush Thesen seien schlimmer als die von Salman Rushdie. Seine Studenten erinnerte er gar an ihre heilige Pflicht, solche zu bestrafen, die den Koran oder den Propheten absichtlich verleugneten. Wenn Sorush dies nicht aus Ignoranz, sondern mit Absicht getan habe, müssten die Muslime ihrer Pflicht [gemeint ist vermutlich: ihrer Pflicht der Bestrafung des Abtrünnigen] nachkommen, so Hamedani. Sorush darf bereits seit zehn Jahren nicht mehr im Iran lehren. Seine Reformansätze haben ihm jedoch zahlreiche Gastprofessuren an europäischen und amerikanischen Universitäten beschert. Sowohl Kritiker als auch Unterstützer bezeichnen ihn bereits als „Martin Luther des Islam“. Nach Sorushs eigener Auffassung beharrt die iranische Geistlichkeit auf einer konservativen Sicht der Religion, weil sie bei einer offenen Diskussion grundsätzlicher Fragen um die Legitimation ihrer Macht fürchte.

Vom islamischen Kulturrevolutionär zum modernen Reformdenker

Sorush wurde 1945 geboren und studierte zunächst islamische Rechtswissenschaft, Theologie und Philosophie, später auch Pharmazie. In London und Oxford studierte er analytische Chemie und parallel Wissenschaftstheorie und Philosophie. Er beschäftigte sich mit den Theorien von Karl Popper, Friedrich Hegel und Immanuel Kant. Seine Sicht der islamischen Philosophie wurde stark von mittelalterlichen Theologen wie al-Ghazali und Mystikern wie Maulana Rumi geprägt. Mit seiner theologisch-philosophischen Entwicklung änderte sich auch seine politische Einstellung. 1980 war er noch von Ayatollah Khomeini in den Stab der „Kulturrevolution“ berufen worden und gilt daher als mitverantwortlich für die gewaltsame Entfernung zahlreicher Regimekritiker aus den Universitäten. 1983 nahm Sorush eine distanzierte Haltung zum Regime ein und übte fortan scharfe Kritik an der islamischen Ideologie der Mullahs und ihrem Versuch, die Geisteswissenschaften zu islamisieren. Seine Kritik basiert auf der Unterscheidung zwischen der eigentlichen Religion und dem Wissen über die Religion. Tradiertes, theologisches Wissen steckt seiner Auffassung nach voller Widersprüche und ist stets dem Wandel unterworfen. Neben dem theologischen, auf Gehorsam zielenden Islam fordert Sorush daher auch einen philosophischen, für Zweifel, Kritik und Forschung offenen Islam. Die Vernunft muss nach Auffassung von Sorush jede Deutung des Islam begleiten, denn die Vernunft kann nicht im Widerspruch zur Offenbarung stehen. Notwendiges Ziel ist für ihn die Entstehung einer religiös begründeten Demokratie, also einer Demokratie, in der jeder Bürger seinen Glauben leben kann, aber nicht durch Gewalt dazu gezwungen wird. Damit geht Soroush über die Forderungen des heute in den Niederlanden lehrenden Ägypters Nasr Abu Hamid Zaid hinaus.

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