Weibliche Selbstmordattentäter
B O N N (01. September 2008) – Von einer zunehmenden Radikalisierung des Jihads von Frauen innerhalb islamistischer Kreise warnt Dr. Christine Schirrmacher vom Institut für Islamfragen anlässlich neuer Berichte über palästinensische Selbstmordattentäter im arabischen Fernsehen. Während lange die Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten und ihre Sorge für die Familien als „Jihad der Frauen“ beschrieben worden sei, werde in den letzten Jahren verstärkt ihr kämpferischer Beitrag bis hin zum Selbstmordattentat propagiert. Am 19. August erinnerte der arabische Sender Al-Jadid / New TV (Libanon) in einer Reportage unter anderem an das „Martyrium“ der 52-jährigen Palästinenserin und achtfachen Mutter Fatima Al-Najjar, die sich am 23. November 2006 nahe des Flüchtlingscamps Jabalya im nördlichen Gaza in die Luft gesprengt und vier israelische Soldaten verletzt hatte.
Auch Mütter sollen ihr Leben für die Verteidigung des Vaterlandes opfern
Auch Rim al-Riyashi, die sich im Januar 2005 am Karni-Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und Israel in die Luft gesprengt und dabei fünf Juden getötet hatte, habe ihren zwei kleinen Kindern eine unvergessliche Lektion über den Kampf hinterlassen, so der Berichterstatter. Wenn das Ziel die Verteidigung des Heimatlandes sei, gebe es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, fuhr er fort. Mütter und Frauen Palästinas glaubten, dass der Tod für ein freies Palästina ein angemessener Preis sei, verglichen mit einem „Leben der Demütigung unter den Stiefeln der Besatzer“. In einer solchen Ausnahmesituation hieße es für die Frauen nicht nur, die Kranken zu versorgen und sich um die Kinder und ihre Familien zu kümmern. Laut seiner Recherche lassen sich jedes Jahr Dutzende zu solchen Operationen ausbilden. Die Kandidatinnen kommen dabei aus allen sozialen Schichten. Ähnlich wie bei den Männern beschränkt man sich bei der Rekrutierung nicht mehr nur auf allein stehende oder geschiedene Frauen. Unter den ersten weiblichen Selbstmordattentätern war Iyat al-Ahris, eine 18-jährige Hochschulstudentin mit überdurchschnittlichen Leistungen, die sich erst kurz zuvor verlobt hatte. Später folgten verheiratete und mehrfache Mütter wie al-Najjar und al-Riyashi.
Islamistische Organisationen: Immer weniger religiöse und soziale Einwände
Al-Riyashi war die erste Selbstmordattentäterin der Hamas und vermittelte damit auch die Botschaft der Überwindung religiöser und sozialer Vorbehalte, die lange Zeit sowohl von der Hamas als auch vom islamischen Jihad gegen weibliche Selbstmordattentäter erhoben worden waren. Während die ersten vier Frauen aus den Reihen der säkularen Fatah-Miliz stammten, sind die islamistischen Organisationen mittlerweile immer stärker in die Rekrutierungsprozesse eingebunden. Bei der religiösen Rechtfertigung für das Selbstmordattentat wird vor allem auf eine Überlieferung des Propheten Muhammad hingewiesen, die lautet:
„Wenn auch nur ein Zentimeter an muslimischem Boden erobert werden kann, wird die Teilnahme am Jihad (dem heiligen Krieg) eine fundamentale Verpflichtung, die sogar mit der Verpflichtung zum Gebet gleichzusetzen ist (die sowohl für Männer wie für Frauen gilt). Ein Kind kann ohne die Erlaubnis seines Vaters gehen, eine Ehefrau ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes und ein Sklave ohne die Erlaubnis seines Herrn.“
Auch der populäre ägyptische sunnitische Gelehrte und Mufti Yusuf al-Qaradawi, der unter anderem die wohl bekannteste islamische Webseite: www.islamonline.com verantwortet, ruft palästinensische Frauen zum kämpferischen Einsatz im Jihad bis hin zum „Martyrium“ als der „höchsten Form des Jihad“ auf. Zur Durchführung solcher Operationen sei es den Frauen auch erlaubt, das Kopftuch durch eine andere Kopfbedeckung zu ersetzen oder ganz abzulegen. Qaradawi betont die besondere Rolle der Frauen im palästinensischen Widerstandskampf, da sie möglicherweise Operationen durchführen könnten, die für Männer unmöglich seien.
Als Motive für weibliche Selbstmodattentäter wurden bisher bei insgesamt noch dürftiger Forschungslage Punkte wie die Suche nach Ehre und Ansehen für die Familie, die muslimische Gemeinschaft und die Religion genannt, aber auch Druck seitens der eigenen Familie, sich zu opfern, Armut und Behinderungen, aber auch die Suche nach einer neuen, emanzipierteren Frauenrolle. Vorteilhaft für den weiblichen Selbstmordattentäter ist auch die Tatsache, dass Frauen sehr häufig von männlichen Sicherheitskräften nicht auf Sprengstoff durchsucht würden.
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