Henning Wrogemann. Missionarischer Islam und gesellschaftlicher Dialog. Eine Studie zur Begründung und Praxis des Aufrufs zum Islam. Otto Lembeck: Frankfurt, 2006, 510 S., 25.00 €.
Henning Wrogemann hat sich in seiner Heidelberger Habilitationsschrift einem Thema von großer gesellschaftlicher Tragweite gewidmet, dessen Bedeutung im 21. Jahrhundert noch zunehmen wird. Erst in den Anfängen steckt nämlich in Europa die Erkenntnis, dass nicht nur das Christentum, sondern ebenso der Islam von Anfang an auf Verkündigung und Ausbreitung angelegt war. Seit dem 19., stärker noch seit dem 20. Jahrhundert ist die Verkündigung des Islam durch Radio, Internet und Fernsehsender, durch Koranverbreitung und Stipendienvergabe, durch Korankurse für Studenten, Tage der offenen Tür in Moscheen sowie durch „Missions“-literatur und Sozialarbeit befördert worden. Vermehrt wurden dafür Finanzen, institutionelle Hilfen, speziell ausgebildetes Personal, Strategien und islamisch-theologische Begründungen ins Feld geführt. Vorbild für neue Formen und eine verstärkte Intensivierung der Da’wa-Arbeit – das Gegenstück zur christlichen Mission: der „Ruf“, die „Einladung“ zum Islam – ab dem 19. Jahrhundert war vor allem die christliche Missionsarbeit. Das 20. Jahrhundert ist die Zeit der zunehmenden Vernetzung und Universalisierung der Da’wa.
Auch für Europa ist die islamische „Mission“ ein Thema von großer gesellschaftlicher Tragweite, vertritt die islamische Theologie doch eine Eschatologie, der zufolge am Ende der Tage nur noch der Islam als einzige Religion bestehen und ein Friedensreich anbrechen wird, nachdem alle Nichtmuslime nochmals zur Umkehr aufgerufen und schließlich alle Christen getötet und christlichen Symbole vernichtet wurden. Das aus muslimischer Sicht heute schon kraftlos gewordene Christentum und das in seinen Wertmaßstäben „verfallene“ Europa bei gleichzeitig revitalisiertem und politisiertem Islam scheinen diese Sicht zu bestätigen.
Wrogemann untersucht in seiner Studie die unterschiedlichen Begründungen für die Pflicht zur Da’wa aus dem Koran, der Überlieferung und vor allem der islamischen Theologie seit dem 19. Jahrhundert. Prägende Theologen des Da’wa-Diskurses und die von ihnen betriebene Politisierung der Da’wa durch ihre Schriften werden vorgestellt, mit denen sie zur Schaffung einer islamischen Gesellschaft aufriefen (so z. B. Sayyid Qutb, Hassan al-Banna und Abu l-Ala al-Maududi). Die Rolle der Kolonialherrschaft für die Propagierung der Da’wa als Ruf zur Einheit der islamischen Weltgemeinschaft (Umma) und für die Schaffung eines islamischen Bewusstsein wird ebenso erläutert wie die Tatsache, dass die Da’wa nicht zuletzt auch eine Form des Jihad ist. Auch daher ging die islamische Theologie selbstverständlich immer von ihrem uneingeschränkten Recht zur Propagierung des Islam aus, während jegliche Mission unter Muslimen stets als unlauter und rechtlich unzulässig betrachtet wurde.
Wrogemann schreibt in klar verständlicher Sprache und präsentiert seine Faktenfülle in übersichtlicher Weise. So wird die Monographie nicht nur dem Islamwissenschaftler, sondern auch demjenigen Theologen von Nutzen sein, der sich mit dem Selbstverständnis des Islam und seinen Ausbreitungsstrategien ernsthaft auseinandersetzen möchte.