Die Ahmadiyya-Bewegung

Prof. Dr. Christine Schirrmacher

Hazrat Mirza Ghulam Ahmad rief sie vor dem Hintergrund der christlich-islamischen Kontroverse zwischen christlichen Missionaren und islamischen Gelehrten des britisch besetzten Indien ins Leben. Nachdem Mirza Ghulam Ahmad anfänglich nur proklamiert hatte, Offenbarungen von Gott erhalten zu haben, verfestigte sich sein Anspruch bald dahingehend, ein von Gott beauftragter Prophet zu sein, auch wenn er nicht mit einer gesetzgebenden Schrift gesandt sei wie Mose, Jesus oder Muhammad. Damit stieß Mirza Ghulam Ahmad jedoch auf Widerspruch sowohl bei sunnitischen als auch bei schiitischen Muslimen. Auf diese Weise verletzte er die bereits im Koran formulierte und im Islam allgemein anerkannte Lehrmeinung von der abschließenden Sendung Muhammads als letztem Propheten der Geschichte, dem „Siegel der Propheten“. 1974 wurde die Ahmadiyya-Bewegung aus der islamischen Gemeinschaft ausgeschlossen, 1976 bezeichneten saudi-arabische Gelehrte Ahmadiyya-Anhänger offen als „Ungläubige“ (also als Nichtmuslime) und verwehrten ihnen auch den Zugang nach Mekka. In vielen islamischen Ländern werden Ahmadiyya-Anhänger mit Mißtrauen beobachtet, abgelehnt oder sogar verfolgt, heute wohl am stärksten in Pakistan. Sie betrachten sich selbst als die eigentlichen, rechtgläubigen Muslime, die übrige muslimische Gemeinschaft als ungläubig. Daher betreiben Ahmadiyya-Anhänger intensiv Werbung unter Muslimen wie auch unter Christen (allerdings trifft das auch für sunnitische Muslime zu). Sie kommen in eigenen Moscheen zusammen.

Insbesondere in der Westlichen Welt werben Ahmadiyya-Anhänger heute unter Muslimen wie Nichtmuslimen sehr aktiv und auch erfolgreich für ihre Bewegung. Die hohen Abgaben der Mitglieder an die Gemeinschaft zu Lebzeiten und die Verpflichtung, dieser darüberhinaus einen Teil der eigenen Erbes zu vermachen, machen sie zu einer ungewöhnlich finanzkräftigen Gemeinschaft. In jüngster Zeit werden auch in Deutschland vermehrt Ahmadiyya-Moscheen gebaut. Die Bewegung soll nach eigenen Angaben heute 12 Mio. Mitglieder in 132 Ländern haben, was allerdings zu hoch gegriffen scheint. Die Ahmadiyya-Bewegung verurteilt Gewalt als Mittel der Ausbreitung des Islam. Sie hält streng am islamischen Pflichtenkanon (Gebet, Fasten, Almosen) und der traditionellen islamischen Rollen- und Aufgabenverteilung für Frau und Mann fest.

Geschichte

Der Gründer der Bewegung Hazrat Mirza Ghulam Ahmad aus Qadiyan/Punjab (ca. 1835/1839-1908) soll erstmals 1880 in einer Veröffentlichung mit dem Titel ‚Beweise der Ahmadiyya‘ seinen Anhängern übermittelt haben, daß er mit einer besonderen Sendung beauftragt sei. Einige Jahre später, im Jahr 1889, dem Gründungsjahr der Ahmadiyya-Bewegung, kündigte er an, er habe von Gott eine Offenbarung empfangen. 1891 bezeichnete er sich selbst als „Messias“. Er behauptete, auf übernatürliche Weise Vorherwissen zu besitzen und Wunder zu vollbringen, darunter auch Totenauferweckungen und die Verursachung von Todesfällen durch sein Gebet. Ab 1904 behauptete er, ein „avatar“ (eine Herabsteigung) von Krishna zu sein, außerdem der auf die Erde wiedergekehrte Jesus, der im Islam in der Endzeit erwartete „Mahdi“, ein „Erneuerer“, mit dem Allah besondere Zwiesprache hege. Außerdem sei er eine Wiedererscheinung Muhammads. Mit Inanspruchnahme dieser Titel rief Mirza Ghulam Ahmad heftigen Widerstand unter Muslimen, Christen und Hindus hervor.

Mirza Ghulam Ahmad betrachtete den Islam seiner Zeit als entartet und durch Korruption, Neuerungen (arab. bid’a), Gräberkult, Verehrung von Sufilehrern, Vielgötterei, Wettspiele, Prostitution und innerislamische Auseinandersetzungen im Verfall begriffen. Sein Ziel sei die Reinigung, Erneuerung und Verbreitung des Islam. Binnen 300 Jahren ab Gründung der Bewegung – also bis 2189 – werde der ‚wahre‘ Islam der Ahmadiyya-Bewegung über die ganze Welt ausgebreitet sein. Im Jahr 1902 schrieb Ghulam Ahmad:

„Die Worte, die ich spreche, sind mit Sicherheit die Worte Gottes, wie die des Korans und des Alten Testamentes. Auf eine ‚schattenhafte‘ und ‚offenbar werdende‘ Art und Weise bin ich ein Prophet Gottes. Jeder Muslim muß mir in religiösen Angelegenheiten gehorchen.“1

Damit hatte sich Ghulam Ahmad de facto unter die Propheten der Geschichte eingereiht und die abschließende Sendung Muhammads verneint.

Auch hinsichtlich der Kreuzigung Jesu vertrat Mirza Ghulam Ahmad eine Sonderauffassung: Während die Mehrzahl der sunnitischen und schiitischen Muslime davon ausgeht, ein „Ersatz“ – wie z.B. Judas oder Petrus – sei an Jesu Stelle gekreuzigt und Jesus lebendig in den Himmel entrückt worden, vertrat Ghulam Ahmad, daß Jesus zwar selbst ans Kreuz geschlagen worden sei, aber die Kreuzigung in einer Ohnmacht überlebt habe und im kühlen Grab durch stärkende Salben wiederbelebt worden sei. Er sei dann nach Kaschmir gewandert, habe geheiratet und eine Familie gegründet und sei dort im Alter von 120 Jahren gestorben. Das dortige Grab eines ‚Yuz Asaf‘ wird als Grab Jesu verehrt. Nach Auffassung der Ahmadiyya-Bewegung ist Jesus also eines natürlichen Todes gestorben und lebt gegenwärtig nicht im Himmel, wie die Mehrzahl der muslimischen Theologen annimmt. Diese Theorie ist in der westlichen Welt in zahlreichen Veröffentlichungen von Ahmadiyya-Anhängern vertreten worden, hat aber auch außerhalb der Bewegung viele Symphatisanten gefunden.

Die Spaltung der Ahmadiyya-Bewegung

Nach Mirza Ghulam Ahmads Tod im Jahr 1908 schlossen sich seine Anhänger zu einer Gemeinschaft zusammen und wählten einen Kalifen zu ihrem Führer, Mawlawi Nur ad-Din. Als dieser erste Kalif 1914 starb, spaltete sich die Bewegung in eine kleine, gemäßigtere Gruppe mit Sitz in Lahore (die Lahore-Gruppe), die sich von dem Anspruch Ghulam Ahmads, er sei ein Prophet gewesen, distanzierte und ihn lediglich als Reformer und Erneuerer anerkannte. Die größere Gruppe, die ihren Gründer Mirza Ghulam Ahmad weiter als Propheten betrachtete, siedelte sich in der Stadt Qadiyan im Punjab an (die Qadiyani-Gruppe). Die Qadiyanis wählten den Sohn des Gründers zum zweiten Kalifen. Heute ist ihr Führer der vierte Kalif Mirza Tahir Ahmad (geb. 1928). Sie hat ihren Sitz aufgrund der heftigen Verfolgung in Pakistan ins Exil nach London verlegt. Besonders in Westafrika ist die Ahmadiyya-Bewegung stark vertreten. Ahmadiyya-Mitglied wird man durch Geburt oder Beitritt. In Deutschland soll es ca. 50.000 Anhänger geben, darunter etwa 200–400 Deutsche.

Beide Zweige werben für ihre Lehre mit Literatur (Büchern, Zeitschriften, Traktaten), Kassetten, Videos und Internetauftritten. Im Jahr 2001 bewarb die Ahmadiyya-Bewegung in Deutschland Millionen Haushalte mit einer Postwurfsendung, in der Grundzüge der Ahmadiyya-Lehre dargelegt wurden. Schon 1913 hatte die Werbung in einigen westlichen Ländern begonnen, 1923 war die erste Ahmadiyya-Moschee in Berlin gebaut worden. In über 50 Sprachen soll die Ahmadiyya-Bewegung den Koran – im Geist ihrer Interpretation – mittlerweile übersetzt haben; ein Medium, das sunnitische und schiitische Gruppierungen noch immer recht wenig nutzen, da der Koran aufgrund der islamischen Lehrmeinung der Unnachahmlichkeit und daher Unübersetzbarkeit lange nicht in andere Sprachen übertragen wurde.

Die Ahmadiyya und das Christentum

Da die Ahmadiyya-Bewegung auch in Auseinandersetzung mit der christlichen Mission im britischen Kolonialreich Indien entstand, überrascht es kaum, daß die Bewegung christlichen Lehrinhalten von Anfang an besonders kritisch gegenüberstand. Schon der Gründer Mirza Ghulam Ahmad äußerte sich sehr ablehnend, ja polemisch gegenüber dem Christentum und ging damit deutlich über die ‚übliche‘ muslimische Kritik am Christentum hinaus. Das wird nicht nur aus den vielen Ahmadiyya-Veröffentlichungen deutlich, die dem historisch eindeutig belegten Geschehnis der Kreuzigung Jesu jegliche Historizität absprechen und das zentrale Heilsgeschehen der Gottessohnschaft Jesu leugnen, sondern auch aus den zahlreichen erbitterten Anklagen und Vorwürfen gegen Jesus Christus von seiten der Ahmadiyya-Bewegung, der im sunnitischen Islam als Prophet hohe Verehrung genießt. Zu diesen Vorwürfen gehören Anklagen wie die Geneigtheit Jesu zum Alkohol, Übertretungen der jüdischen Gesetzesvorschriften, die Beleidigung seiner Mutter und Respektlosigkeit gegen jüdische Priester, die Kontaktaufnahme zu Frauen von schlechtem Ruf und Charakter, die Rückführung des Stammbaums Jesu auf Prostituierte, aber auch Charaktervorwürfe wie Falschheit, Arroganz, Bosheit, Feindschaft gegen die Gerechten, Lüge und Feigheit.

Ahmadiyya-Anhänger haben – vor dem Hintergrund ihrer eigenen Verfolgungsgeschichte – stets den friedlichen Charakter ihrer Werbung in heute über 100 Ländern und die Ablehnung jeglicher Gewalt betont. Auch den kämpferischen „Djihad“ lehnen Ahmadiyya-Anhänger in zahlreichen Stellungnahmen ab. Gleichzeitig setzen sie sich in der Westlichen Welt mit allen legalen Mitteln vehement für ihre Rechte ein (z.B. den Bau von teilweise sehr großen Moscheen). Christen sollten sich darüber klar sein, daß sie von Ahmadiyya-Anhängern in der Regel weniger Respekt für christliche Glaubensinhalte zu erwarten haben als im sunnitischen Islam, wo gegen den dort hochgeachteten Propheten Jesus keine derartigen Vorwürfe erhoben werden. Auch einige von der Ahmadiyya-Bewegung herausgegebene deutsch-arabische Koranausgaben (z.B. von 1980) erheben im Vorwort etwa die Anklage, daß das Alte Testament bzw. die Bibel eine solche Entstellung des ‚ursprünglichen‘ Wortes Gottes seien, ja, dass sie so verdreht seien, daß sie eine „Verhöhnung Gottes und der Religion“ darstellten. Ahmadiyya-Anhänger sind oft gut geschult und können im Gespräch mit einem Christen nicht selten ein ganzes Repertoire an Vorwürfen zur angeblichen Unhaltbarkeit biblischer Aussagen aufbieten. Daher ist für ein fruchtbares Gespräch mit Ahmadiyya-Anhängern ein fundiertes Wissen erforderlich. Selbstverständlich lehnen Ahmadiyya-Anhänger die Erlösung Jesu durch seinen Tod am Kreuz ebenso wie die Dreieinigkeit und Gottessohnschaft Jesu ab.


  1. Yohanan Friedmann. Prophecy Continous. Aspects of Ahmadi Religious Thought and its Medieval Background. University of California Press: Berkeley, 1989, S. 133.