Unterscheidung zwischen Islamkritik und Fremdenfeindlichkeit notwendig
B O N N (26. Oktober 2009) – Für die notwendige Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an der Ideologie eines politischen Islam und berechtigter Kritik an Integrationsdefiziten einerseits und pauschaler Ablehnung aller Muslime oder sogar fremdenfeindlichen Übergriffen gegen muslimische Mitbürger andererseits spricht sich die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher vom Institut für Islamfragen angesichts des am Montag, 26. Oktober 2009, beginnenden Prozesses um den Mord an Marwa el-Scharbini aus. Islamische Verbände in Deutschland hatten in den letzten Wochen insbesondere vor den Bundestagswahlen den Fall el-Scharbini zum Anlass genommen, die Zunahme einer sowohl offenen als auch verdeckten Islamfeindlichkeit in Deutschland zu beklagen. Unter „dem Deckmantel der Pseudo-Islam-Aufklärung [würde] weiter kontinuierlich Hass gegenüber Muslimen gesät“, erklärt der Zentralrat der Muslime am 5. Juli 2009 auf seiner Internetseite. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) beklagte die zurückhaltende Reaktion des Kanzleramts und erwartete von der Bundeskanzlerin eine Entschuldigung und Trostworte an die Muslime in Deutschland. Sowohl vor den Bundestagswahlen als auch vor dem heutigen Prozessbeginn forderten islamische Verbände die Parteien auf, Maßnahmen gegen Islamfeindlichkeit und Islamophobie unmissverständlich auf die politische Agenda zu setzen.
Islamkritische Anfragen werden als krankhafte und therapiebedürftige Ängste karikiert
Nach Schirrmachers Einschätzung fördert jedoch der inflationäre und unscharfe Gebrauch des Begriffs der Islamophobie und die Delegitimierung jeglicher islamkritischer Äußerungen als Rassismus und Hass auf den Islam nicht den Abbau tatsächlich vorhandener Sorgen und Ängste vor dem politischen Anspruch des Islam, sondern sei vielmehr geeignet, die notwendige offene gesellschaftliche Diskussion im Keim zu ersticken. In diesem Zusammenhang sei es auch bedenklich, dass nach der so genannten Heitmeyer-Studie des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung bereits derjenige an Islamophobie leide, der sein Kind nicht von einer Muslimin mit Kopftuch unterrichten lassen wolle. In England hatte bereits 1997 die „Kommission für britische Muslime und Islamophobie“, die zum britischen Runnymede Trust gehört, Islamophobie „als unbegründete Feindschaft gegenüber dem Islam und daher Furcht oder Antipathie gegenüber allen oder den meisten Muslimen“ definiert und eine Erweiterung des gesetzlichen Begriffs der „rassistischen Gewalt“ um die „religiöse Gewalt“ gefordert, damit der erwünschte „Wandel in der öffentlichen Meinung und dem populären Verständnis“ entsprechend konsolidiert werde. Laut Schirrmacher würde die hier angestrebte gesetzliche Kriminalisierung kritischer oder ablehnender Überzeugungen bezüglich des Islam zu Intoleranz und der Errichtung von Tabuzonen führen. Die Beschreibung der Islamkritik als krankhafte Angst impliziere, dass die kritischen Anfragen zum Beispiel bezüglich eines islamischen Menschenrechtsverständnisses bereits sachlich widerlegt und damit unbegründet seien. Die notwendige gesellschaftliche Diskussion würde damit in unerträglich intoleranter Weise blockiert. Verwendung des Begriffs der Islamophobie unter anderem damit, dass besser als bei dem Begriff der Islamfeindlichkeit der „Aspekt der vielfach im Unbewussten liegenden und argumentativ kaum beizukommenden Angst“ zum Tragen komme. Aus Sicht von Carla Amina Baghajati, der Autorin des entsprechenden Artikels, bringt der Zusatz der „Phobie“ darüber hinaus zum Ausdruck, „dass eine ‚Heilung’ auch für den Betroffenen selbst wünschenswert“ sei. Daher möchte die IGÖ durch ihre „Kompetenzen und die Innensicht des Konfliktfeldes“ bei der Aufarbeitung der Islamophobie helfen und den Weg zu einer sachlichen Auseinandersetzung ebnen. Somit erscheint aus Baghajatis Perspektive eine sachliche, vernünftige und vorurteilsfreie Darstellung des Islam in allen seinen Facetten im Rahmen der Medien und des Bildungsbereichs in Österreich nur durch die IGÖ möglich.
Antisemitismus-Studie aus Angst vor Islamophobie zurückgezogen
Die Befürworter einer gesellschaftlichen wie gesetzlichen Ächtung der Islamophobie verstricken sich nach Einschätzung von Schirrmacher zudem in einen inneren Widerspruch, wenn sie vermeintlich pauschalisierende und undifferenzierte Betrachtungsweisen des Islam verhindern wollten, indem sie bestimmte Aussagen pauschal und ohne Prüfung ihrer jeweiligen Begründung als islamophob abstempelten und damit ignorierten, dass die Sorge vor einem zunehmenden Einfluss von islamistischen wie jihadistischen Bewegungen von einer großen Anzahl säkular bzw. liberal eingestellter Muslime geteilt würde. Als mahnendes Beispiel für eine derart falsch verstandene religiöse und kulturelle Toleranz nannte Schirrmacher die Rücknahme einer Studie des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung von 2003, die belegt hatte, dass antijüdische Gewaltakte in Europa nicht mehr nur von „angestammten“ Rechtsradikalen, sondern zunehmend auch von meist jugendlichen radikalen Islamisten begangen werden. Die „Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ hielt die eigens in Auftrag gegebene Studie mit der Begründung zurück, dass sie Islamophobie fördern könne. Eine derart ängstliche Selbstzensur, die davon ausginge, dass Muslime stets nur als Opfer wahrgenommen werden dürften, stellt nach Einschätzung von Schirrmacher Menschenrechte wie die Meinungs- und Presse- sowie die Wissenschaftsfreiheit infrage.
Kritik an Schariavorbehalt islamischer Menschenrechtserklärungen legitim
Wie eng die Islamophobie-Diskussion mit einer angestrebten Islamisierung des Menschenrechtsverständnisses verbunden ist, verdeutliche auch die Verwendung des Begriffs durch die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), der über 57 islamisch geprägte Staaten angehören. Die Islamphobie beschrieben die Außenminister der zur OIC gehörenden Staaten als „schlimmste Form des Terrorismus“, für die sie unter anderem die dänischen Mohammed-Karikaturen und die islamkritischen Äußerungen von Papst Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede verantwortlich machen. Mithilfe einer solchen Argumentation versucht die OIC nach Einschätzung Schirrmachers ihr islamisches Menschenrechtsverständnis durchzusetzen, wie sie es 1990 in der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam festgelegt haben. Demnach hat „jeder Mensch innerhalb des Rahmens der Scharia das Recht auf Freizügigkeit“ (Artikel 12) und „das Recht den Erfolg seiner wissenschaftlichen, literarischen, künstlerischen oder technischen Arbeit zu genießen […] vorausgesetzt, dass die Werke nicht den Grundsätzen der Scharia widersprechen“ (Artikel 16). Die Meinungsfreiheit ist nach Artikel 22 das Recht jedes Menschen nur in dem Maß, „soweit er damit nicht die Grundsätze der Scharia verletzt“. Auch Information darf „nicht dafür eingesetzt und missbraucht werden, die Heiligkeit und Würde des Propheten zu verletzten“. Dementsprechend bezeichnete der Präsident des „Amtes für religiöse Angelegenheiten“ (Diyanet) in der Türkei, Ali Bardakoglu, in einer Rede am 01.11.2006 Kritik am Islam als „Bedrohung des Weltfriedens“1. Artikel 25 der OIC-Erklärung betont bschließend, dass die Scharia die „einzig zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung“ sei.
Angesichts der dokumentierten und tatsächlich Besorgnis erregenden Menschenrechtslage in vielen islamischen Ländern hilft daher aus Sicht von Schirrmacher eine Stigmatisierung all derer, die Sorge vor einer zunehmenden Islamisierung der europäischen Gesellschaft haben, nicht weiter. Während jede Form von Fremdenfeindlichkeit mit aller Entschiedenheit bekämpft werden müsse, dürften islamistische Bestrebungen sowie Integrationsdefizite in westlichen Gesellschaften zum Wohle aller nicht zur Tabuzone erklärt werden.
Zum freien Abdruck, auch einzeln und auszugsweise – Belegexemplar erbeten.
Siehe: http://www.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp [Stand: 25.10.09]. ↩