Zusammenfassung des Bundesverfassungsschutzberichtes 2008

Institut für Islamfragen

Deutschland im „unmittelbaren Zielspektrum islamistisch terroristischer Gruppierungen“

Nach dem Verfassungsschutzbericht 2008 ist Deutschland weiter „Teil eines weltweiten Gefahrenraums“ und befindet sich im „unmittelbaren Zielspektrum islamistisch-terroristischer Gruppierungen“. Gewaltbereite Islamisten werfen Deutschland vor allem die Beteiligung am internationalen Kampf gegen den Terrorismus vor. Zudem wird Deutschland auf „jihadistischen Internetseiten“ als Unterstützer der USA und Israels zum „Lager der Kreuzzügler“ gezählt. Die antideutsche Propaganda zielt vor allem auf das deutsche Engagement in Afghanistan ab. Ende 2008 gab es laut Bericht 29 bundesweit aktive islamistische Organisationen. Das islamistische Personenpotenzial ist im Jahr 2008 mit 34.720 Anhängern gegenüber 2007 (mit 33.170 Anhängern) leicht gestiegen. In 2008 fanden in Deutschland ähnlich wie in anderen europäischen Ländern gleich mehrere Prozesse gegen Mitglieder ausländischer terroristischer Vereinigungen statt, deren Anschlagspläne in den letzten zwei Jahren aufgedeckt und vereitelt werden konnten. Am 2. September 2008 begann vor dem OLG Düsseldorf der Prozess gegen die Mitglieder der so genannten Sauerland-Gruppe. Die Angeklagten sollen als Mitglieder einer ausländischen terroristischen Vereinigung (siehe unten: Islamische Jihad Union) Anschläge für die Zeit kurz vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan am 12. Oktober geplant haben. Ebenfalls das OLG Düsseldorf verurteilte am 9. Dezember 2008 einen der Täter zu lebenslanger Haft, die am 31. Juli 2006 zwei Sprengstoffanschläge auf zwei Regionalzüge der Deutschen Bahn versucht hatten. Der Verurteilte und sein Mittäter, der bereits am 18. Dezember 2007 in Beirut (Libanon) zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war, hatten mit ihren Anschlägen auf die Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen in deutschen Medien Anfang 2006 reagieren wollen.

„Homegrown“-Netzwerke, Radikalisierungsprozesse und Reisebewegungen

Das islamistisch-terroristische Spektrum gliedert sich nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in solche Gruppierungen, die enge Verbindungen zu islamistischen Organisationen im Ausland haben, unabhängige Kleinstgruppen und selbstmotivierte Einzeltäter. Dabei werden die Sicherheitsbehörden immer stärker durch so genannte „Homegrown“-Netzwerke herausgefordert, die sich „aus radikalisierten Personen der zweiten und dritten Einwohnergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen“. Anhänger dieser Netzwerke verbindet demnach die gemeinsame Ablehnung des hiesigen Wertesystems „aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren“. Zudem sind die meisten dieser Netzwerke durch die pan-islamische Ideologie der al-Qaida geprägt. Laut Bericht können sowohl der soziale Status als auch die kulturelle Herkunft und die jeweilige Persönlichkeitsstruktur der Einzelnen radikalisierungsfördernd wirken. In engem Zusammenhang mit den radikalisierten Netzwerken stehen auch die vermehrt festgestellten Reisebewegungen aus dem islamistischen Spektrum Richtung afghanisch-pakistanischem Grenzgebiet und Richtung Maghreb. Radikalisierte Anhänger, die in den dortigen terroristischen Lagern ausgebildet werden, können laut Verfassungsschutz nach ihrer erneuten Einreise in Deutschland sowohl eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland als auch für deutsche oder ausländische Interessen in Afghanistan oder Pakistan darstellen.

Die Rolle des Internets

Nach Beobachtung des BfV nehmen die Deutschlandbezüge auf „jihadistischen“ Internetseiten zu. So weisen unter anderem Videos der Islamischen Jihad Union deutschsprachige Passagen und Untertitel auf und appellieren an die „Brüder in Deutschland, Österreich und der Schweiz“. Auf einem in mehreren „jihadistischen“ Internetforen veröffentlichten Video vom 21. Oktober 2008 warnte beispielsweise der deutsche Konvertit Eric Breininger, dass Deutschland solange Ziel von Anschlägen sei, wie deutsche Soldaten in Afghanistan und Usbekistan stationiert seien. Insgesamt stellt der Bericht eine zunehmende Professionalität in der Gestaltung der Internetauftritte fest. Relativ zeitnah würden die Botschaften in die verschiedenen Sprachen übersetzt. Für die Übersetzung ins Deutsche ist laut Bericht vor allem die „Globale Islamische Medienfront“ (GIMF) verantwortlich. Das Internet wird im Bericht als das „wichtigste Kommunikations- und Propagandamedium für Islamisten und islamistische Terroristen“ beschrieben. Über Diskussionsforen und Chatrooms entstehen virtuelle Netzwerke Gleichgesinnter. Über diesen Weg könnten Radikalisierungsprozesse initiiert oder unterstützt, anonym Kontakte geknüpft, ideologische oder militärische Schulungen angeboten und Rekrutierungen angebahnt werden. Trotz größerer Differenzen bei den genauen Zielen und Strategien verstärken die Netzwerke nach Einschätzung des BfV das Bewusstsein einzelner Aktivisten, „Teil einer einzigen Bewegung“ des globalen Jihads zu sein. Vor allem das Medienzentrum „Al-Fajr“ soll laut Bericht entsprechende Audio- und Videobotschaften wie die der al-Qaida-Führer Bin Laden und al-Zawahiri gezielt in den Foren verschiedener „jihadistischer“ Internetseiten platzieren. Auch nicht-islamistische Internetdienste wie Online-Kontaktnetzwerke oder Videoplattformen werden zur Verbreitung der Propaganda genutzt. Neben Videos- und Audiobotschaften finden sich auf den „jihadistischen“ Internetseiten Online-Zeitschriften sowie ideologische und militärische Handbücher. In Foren bekennen sich einzelne Bewegungen zu Anschlägen. Führende Aktivisten geben Interviews oder beantworten Fragen von Interessenten der jeweiligen Gruppe. Auch Ehrungen und Lebensläufe von so genannten Märtyrern der Bewegungen werden in den Foren veröffentlicht. Dabei wird zuletzt besonders auf türkischen und kaukasischen Internetseiten auch die Rolle der Frau im gewaltsamen „Jihad“ stärker thematisiert. Auf Bilder- und Videoaufnahmen sind zudem Kinder zu sehen, die in Trainingslagern auf den bewaffneten Kampf vorbereitet werden.

Die Ausstrahlung der afghanischen und irakischen Entwicklungen

Der Bericht beschreibt auch die politische Lage und Vorgehensweise terroristischer Organisationen in einzelnen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und skizziert mögliche Auswirkungen auf die jeweilige Anhängerschaft in Deutschland im Falle einer Eskalation bestehender Konflikte. Die besondere Bedeutung des deutschen Afghanistan-Einsatzes im Rahmen der gegen Deutschland gerichteten „jihadistischen“ Propaganda ist bereits oben beschrieben worden. Bei Anschlägen der Taliban im nordafghanischen Kunduz am 27. August und 20. Oktober 2008 wurden drei deutsche Soldaten getötet. Für den Irak konstatiert der Bericht eine leichte Stabilisierung seit dem Spätherbst 2007. Das führt man unter anderem auf die Bekämpfung sunnitisch-terroristischer Strukturen durch von den Koalitionskräften unterstützte sunnitische Stammesmilizen zurück. Denen wirft daher die „al-Qaida im Irak“, die sich seit Oktober 2006 als „Islamischer Staat im Irak“ bezeichnet, Apostasie (Abfall vom Glauben) und Verrat am irakischen „Jihad“ vor. Trotz offensichtlicher Spannungen zwischen den einzelnen sunnitisch-terroristischen Gruppen entfalten die Aufrufe zum „Jihad“ gegen die „ungläubigen Kreuzzügler“ laut dem BfV weiterhin eine starke radikalisierende und mobilisierende Wirkung auf Muslime weltweit. Auch von Deutschland aus unterstützen nach Einschätzung des BfV Netzwerke die entsprechenden Organisationen durch Rekrutierungen, Schleusungen und Finanzmittel.

Einzelne terroristische Gruppierungen und ihre Verbindungen nach Deutschland

al-Qaida („die Basis“)

Ausführlich beschreibt das BfV in seinem Bericht die momentane Zielorientierung und Strategiefindung ausgewählter terroristischer Vereinigungen. So verfolge beispielsweise die al-Qaida derzeit eine Doppelstrategie. Während es als „virtuelle“ Organisation „Impulse für die jeweils Agierenden“ setze, sei es andererseits bemüht, die eigene „operative Handlungsfähigkeit wiederherzustellen“. Nach dem Bericht bleiben ihre beiden Hauptziele die Verdrängung der als „Kreuzzug“ dargestellten westlichen Einflüsse auf die islamischen Länder und die Bekämpfung der aus ihrer Perspektive abtrünnigen Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika. Der Bericht erwähnt gleich mehrere Festnahmen, die in einem Bezug zur al-Qaida stehen. Die Beschuldigten wurden jeweils zu mehreren Jahren Haftstrafe verurteilt, weil sie für die al-Qaida oder ihre Unterorganisationen geworben, Geld gesammelt, selber unter dem Dach der al-Qaida ausländische terroristische Vereinigungen gegründet oder bei Rekrutierungen und Schleusungen islamistischer Kämpfer beteiligt gewesen waren. Bezüglich der am 11. September 2006 aus der Salafiya-Gruppe für Predigt und Kampf hervorgegangenen al-Qaida im islamischen Maghreb hebt der Bericht die zunehmende Zahl von Selbstmordanschlägen und die Erweiterung des Zielspektrums auf ausländische Staatsbürger und Einrichtungen hervor.

Ansar al-Islam-Gruppe („Gruppe der Anhänger des Islam“)

Laut dem BfV handelt es sich bei der 2001 gegründeten Ansar al-Islam-Gruppe (AAI) ursprünglich um einen „Zusammenschluss verschiedener salafitisch ‚jihadistischer‘ orientierter Splittergruppen im Nordirak“. Ihr Ziel hat sich jedoch in den letzten Jahren von der Gründung eines islamischen Staates im kurdischen Teil des Iraks zum gemeinsamen Kampf mit anderen sunnitisch-terroristischen Gruppen gegen die „amerikanischen Besatzer“ und ihre Verbündeten verlagert. Auch säkulare kurdische Parteien bekämpft die Gruppe als vermeintliche Kollaborateure des Westens. Die „nahezu ausschließlich kurdischstämmigen Anhänger der AAI in Deutschland“ unterstützen nach Einschätzung des BfV dieses Ziel, indem sie sich vor allem um die Beschaffung und den Transfer von finanzieller Unterstützung bemühen. Seit Ende 2003 konnten deutsche Sicherheitsbehörden erfolgreiche Maßnahmen gegen die vor allem in Süddeutschland und in Nordrhein-Westphalen aktive Bewegung einleiten. So wurde unter anderem ein für März 2004 geplanter Anschlag auf den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Iyad Allawi verhindert und die drei Anschlagsplaner der AAI am 15. Juli 2008 zu siebeneinhalb und zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Islamische Jihad Union

Da die Islamische Jihad Union (IJU), die sich als Abspaltung der Islamischen Bewegung Usbekistans zunächst auf die Errichtung eines islamischen Staates in Usbekistan konzentriert hatte, ihren Wirkungskreis mittlerweile auf Europa ausgedehnt hat, wird sie im Verfassungsschutzbericht gleich in verschiedenen Gefahrenzusammenhängen erwähnt. Demnach nimmt sie auch Ziele in Deutschland ins Visier. Neben der oben erwähnten Sauerland-Gruppe gehörte auch der in Deutschland geborene Cüneyt Ciftci, der am 3. März 2008 einen Selbstmordanschlag auf einen amerikanischen Stützpunkt im Osten Afghanistans beging, der IJU an. Videobotschaften des deutschen Konvertiten Breiningers gegen das deutsche Afghanistan-Engagement werden ebenfalls der IJU zugerechnet.

Islamismus arabischen Ursprungs

Hizb Allah („Partei Gottes“)

Die 1982 anlässlich des israelischen Einmarsches in den Libanon auf iranische Initiative hin gegründete schiitische Gruppierung hat sich laut dem BfV schnell zu einer „militanten Sammelbewegung radikaler Schiiten“ entwickelt. Kennzeichen der Gruppe ist die Leugnung des Existenzrecht Israels und die Legitimierung des Terrors als Mittel des Kampfes gegen Israel. Während die Hizb Allah in der libanesischen Innenpolitik statt der ursprünglich angestrebten Etablierung einer islamischen Republik nach iranischem Vorbild mittlerweile eine pragmatische Politik betreibe, sei ihr militärischer Arm für zahlreiche Terroranschläge in iranischem Auftrag verantwortlich. Außer „Siegesfeiern“ zum Jahrestag des israelischen Abzugs aus dem Libanon am 23. Mai, führen die ca. 900 Anhänger der Bewegung in Deutschland keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen durch. Dem libanesischen Sender al-Manar, der unter anderem die antiisraelische und antijüdische Propaganda der Hizb Allah verbreitet, wurde mit Verfügung des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 29. Oktober 2008 jegliche Betätigung in Deutschland verboten.

Hizb ut-Tahrir („Partei der Befreiung“)

Die 1953 von Taqiaddin al-Nabhani in Jerusalem gegründete Bewegung sieht im Islam die einzige und abschließende Lösung aller gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Probleme. Laut dem BfV strebt sie daher die „Vereinigung der islamischen Gemeinde (Umma) zu einem einzigen Staat unter Auflösung der bisherigen nationalstaatlichen Grenzen“ an. Der neu zu schaffende Staat soll von einem Kalifen regiert und auf der Grundlage der islamischen Rechtsordnung (Scharia) aufgebaut werden. Zu diesem Zweck unterteilt die Bewegung bereits heute ihren Wirkungskreis in einzelne Verwaltungsbezirke (wilayat). Die Hizb ut-Tahrir spricht Israel das Existenzrecht ab und propagiert die gewaltsame Befreiung von der israelischen Besatzung. Zudem fordert sie Befreiung von den westlichen Einflüssen und den mit dem Westen „kollaborierenden“ arabischen Regierungen, die sie des Verrats am Islam bezichtigt. Im Bundesgebiet ist der Bewegung mit Verfügung des BMI vom 10. Januar 2003 jegliche Betätigung im Bundesgebiet untersagt worden. Der Verfassungsschutz rechnet dennoch mit Ausstrahlungswirkungen über das Internet und die stark frequentierten Demonstrationen und multinationalen Konferenzen im europäischen Ausland.

HAMAS („Islamische Widerstandsbewegung“)

Die 1988 als palästinensischer Zweig der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründete HAMAS hat sich laut dem BfV die Errichtung eines islamischen Staates im gesamten „Gebiet zwischen Mittelmeer und dem Jordan“ auf die Fahnen geschrieben. Die HAMAS unterteilt sich dabei in drei Bereiche. Neben dem politischen Flügel gibt es einen militärischen, der zahlreiche Selbstmordanschläge gegen israelische Ziele zu verantworten hat, und einen sozialen Flügel, der der HAMAS durch ein umfassendes soziales und humanitäres Angebot die Unterstützung der Bevölkerung sichern soll. Kinder- und Jugendeinrichtungen werden darüber hinaus dazu genutzt, neue Mitglieder zu rekrutieren und den „Märtyrertod“ im Kampf gegen Israel zu glorifizieren. Im Zuge des Gaza-Krieges von Ende Dezember 2008 bis Mitte Januar 2009 verzeichnete das BfV mehr als 200 Demonstrationen mit teilweise hohen Teilnehmerzahlen in Deutschland. Weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen sind von den ca. 300 Anhängern in Deutschland nicht zu verzeichnen gewesen. Die beiden Organisationen al-Aqsa e.V. und YATIM-Kinderhilfe e.V. wurden wegen finanzieller Unterstützung der HAMAS verboten.

Muslimbruderschaft

Der Verfassungsschutzbericht beschreibt die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (MB) als „einflussreichste islamistische Bewegung“, die oft „unter anderem Namen und in unterschiedlichen Ausprägungen in fast allen muslimischen und vielen nichtmuslimischen Staaten vertreten“ sei. Als „Sammelbecken nationalistischer und antikolonialistischer Islamisten“ habe die MB vor allem die Souveränität Ägyptens sowie die Rückkehr zu einem „wahrhaft islamischen“ Staat erreichen wollen. Das angestrebte föderale islamische Großreich sollte von einem Kalifen geleitet und ausschließlich auf der als ewig gültig verstandenen Scharia aufgebaut werden. Diese ideologische Grundausrichtung impliziert zugleich die entschiedene Ablehnung aller laizistischen oder säkularen Staatsformen. Während die MB trotz offiziellen Verbots und interner Machtkämpfe noch immer einen starken Einfluss auf die ägyptische Politik über „unabhängige“ Kandidaten und Wahlbündnisse ausüben kann, beeinflusst die Bewegung in Deutschland maßgeblich die Ausrichtung der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD). Die aus der Moscheebauinitiative München e.V.“ und dem „Islamischen Zentrum München“ hervorgegangene IGD bietet dem BfV nach Anhängern der MB unter anderem über die islamischen Zentren in Nürnberg, Frankfurt am Main, Köln, Marburg, Braunschweig und Münster wichtige Einflussmöglichkeiten. Zu den Hauptzielen der von Ibrahim el-Zayat geleiteten IGD, die auch Mitglied der der MB nahe stehenden „Föderation Islamischer Organisationen in Europa“ ist, zählt laut Verfassungsschutz die Ermöglichung von Freiräumen für ein schariatreues Leben.

Islamismus türkischen Ursprungs: Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)

Sehr ausführlich behandelt der aktuelle Verfassungsschutzbericht auch die 1985 in Köln gegründete und mittlerweile europaweit tätige Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), die ca. 87.000 Mitglieder in Europa und 27.500 in Deutschland haben und für 514 Moscheegemeinden, davon 323 in Deutschland, verantwortlich sein soll. Bei einer Demo mit etwa 10.000 Teilnehmern am 10. Januar 2009 solidarisierte sich die IGMG mit der muslimischen Bevölkerung des Gaza-Streifens. Ideologisch ist die IGMG laut dem BfV in der Milli-Görüs-Bewegung des ehemaligen türkischen Politikers Necmettin Erbakan verwurzelt. Erbakan beabsichtigt die Überwindung des Laizismus und des westlichen Gesellschaftssystems durch die globale Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung. Zu den Einflusskanälen der Bewegung gehört neben der Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit – SP) die Tageszeitung Milli Gazete, der Fernsehsender TV 5, die Jugendorganisation Verein der Anatolischen Jugend (Anadolu Genclik Dernegi) und das Zentrum für Wirtschafts- und Sozialforschung (Ekonomik ve Sosyal Arastirma Merkezi). Den größten Einfluss im europäischen Ausland übt die Bewegung jedoch über die IGMG aus. Die enge Verbindung zwischen SP und IGMG sieht das BfV vor allem in den zahlreichen SP-Gastrednern auf IGMG-Veranstaltungen, Reisen von IGMG-Delegationen zu SP-Funktionären in der Türkei und so genannten Bildungsseminaren bestätigt, bei denen die Grundlagen der Bewegung vermittelt würden. Das BfV beurteilt die breit angelegte Jugend- und Bildungsarbeit der IGMG angesichts des restriktiven und integrationshemmenden Islamverständnisse s kritisch. Aus der IGMG-Perspektive soll den Jugendlichen angesichts des „ständigen Identitätskonflikts“ in einer multikulturellen Gesellschaft ihre „kulturelle Identität“ durch „Kenntnis der Hauptquellen des Islam“ und die „Ausübung der religiösen Pflichten“ als „wichtigste Aufgabe“ vermittelt werden. Trotz erster Reformansätze innerhalb der jüngeren Generation der IGMG-Führung, überwiegt nach Einschätzung des Verfassungsschutzes die traditionalistisch eingestellte Anhängerschaft Erbakans. Durch das „dogmatische Festhalten maßgeblicher Protagonisten an bisherigen ideologischen Positionen“ werden demnach die „verbalen Bekenntnisse der IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat und eine damit verbundene Abkehr von den politischen Vorgaben Erbakans“ infrage gestellt.

Sonstige islamistische Organisationen und Einflüsse

Islamisches Zentrum Hamburg

Im Zusammenhang einer weltweiten Verbreitung des islamischen Systems iranischer Prägung durch regimetreue Iraner verweist der Bericht insbesondere auf das Islamische Zentrum Hamburg(IZH) mit der dazugehörigen Imam Ali Moschee. Die laut Bericht „wichtigste Anlaufstelle für Schiiten verschiedener Nationalitäten“ biete neben Gebetsveranstaltungen und religiösen Feiern auch Lehrveranstaltungen, Sprachunterricht und Freizeitaktivitäten an. Während man jedoch in der Außendarstellung um ein moderates Islambild und die Betonung des unpolitischen und kooperativen Charakters des Zentrums bemüht sei, hält das BfV das IZH für eins „der aktivsten Propagandazentren des Iran in Europa“, das sich demnach die „leise Propagierung eines islamischen Gottesstaates nach iranischem Vorbild“ zur Aufgabe gemacht hat.

Tablighi Jama’at („Gemeinschaft der Verkündigung und Mission“)

Die 1926 vom islamischen Gelehrten Maulawi Muhammad Ilyas gegründete Bewegung der Tablighi Jama’at (TJ) vertritt mit missionarischem Eifer nach der Beschreibung des BfV eine „strikt an islamischen Vorschriften orientierte Lebensweise“ und hat mittlerweile mehr als zehn Millionen Anhänger weltweit. Aus dem grundsätzlichen Vorrang der als ewig verbindlich angesehenen religiösen Vorschriften vor den jeweiligen Gesetzen schließt der Bericht auf die „Ablehnung einer auf Trennung von Religion und Staat basierenden demokratischen Verfassung“. Das BfV betont die desintegrative Wirkung solcher Bewegungen, die zur „Entstehung von Parallelgesellschaften“ beitrügen und Radikalisierungsprozesse beförderten. Der Bericht skizziert auch die mögliche Gefahr, dass die TJ als „Rekrutierungspool“ für „jihadistische“ Organisationen dienen könnte, indem diese das strikte Islamverständnis der TJ-Anhänger um ihre „jihadistische“ Komponente ergänzten. Dem Bericht zufolge existieren TJ-Einrichtungen in Deutschland in Hannover, Berlin, Köln, Friedrichsdorf (Hessen), Bochum, München und Pappenheim (Bayern).

Tschetschenische Separatistenbewegung

Die vom BfV als Tschetschenische Separatistenbewegung (TSB) bezeichnete Tschetschenische Republik Itscheria propagiert den bewaffneten Jihad zur Errichtung eines von der russischen Föderation unabhängigen islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia. Der Bericht widmet sich primär der Ausdehnung des Zielspektrums der TSB über die tschetschenischen Grenzen hinaus auf die benachbarten Kaukasusstaaten. Auch die USA, Großbritannien, Israel und „alle, die gegen den Islam und die Muslime Krieg führen“ hat der TSB-„Präsident“ Umarov als Feinde der TSB bezeichnet. Seine eigenmächtige Proklamation des „Kaukasischen Emirats“ im Oktober 2007 hat jedoch die Spaltung zwischen den Mujahidin und dem „pro-demokratischen“ Flügel der Bewegung weiter vertieft. Das BfV vermutet 500 vor allem finanzielle und materielle Unterstützer der TSB unter den rund 6000 Personen tschetschenischer Herkunft in Deutschland. Auch wenn für die Mehrheit der in Deutschland lebenden Tschetschenen die Unabhängigkeit Tschetscheniens im Vordergrund stehe, könnte nach Einschätzung des BfV eine Eskalation der Auseinandersetzung in der nordkaukasischen Krisenregion auch Auswirkungen auf die Einstellung der TSB-Anhänger und damit auf die Sicherheitslage in Deutschland haben.