Adam

Prof. Dr. Christine Schirrmacher

Im Koran ist Adam der, den Gott „vor den Menschen in aller Welt“ auserwählt hat (3,33) und ebenso wie im Alten Testament der Stammvater aller Menschen (4,1). Die Überlieferung bringt die Erschaffung Adams in engen Zusammenhang mit dem Hauptheiligtum des Islam, der Ka’ba in Mekka, denn sie berichtet, daß Gott Adam aus Lehm erschuf, den er für seinen Kopf von der Erde der Ka’ba nahm und für seine Brust und seinen Rücken von Jerusalem. Die islamische Überlieferung schildert, daß Gott Adam befahl, ihm in Mekka ein Heiligtum – die Ka’ba – zu errichten. Adam vollzog dort einige der Kulthandlungen (wie die Umschreitung des Heiligtums), die auch heute Bestandteil der Pilgerfahrt (arab. hajj) sind. Damit wird Adam nicht nur zum ersten Muslim der Menschheitsgeschichte und zum Wegbereiter des Islam, sondern auch die Pilgerfahrt und die Entstehung der Ka’ba an den Beginn der Menschheitsgeschichte verlegt.

Die Erschaffung Adams

Auch der Koran enthält eine – allerdings nicht sehr ausführliche – Erzählung von Adam und seiner Frau im Paradies. Die islamische Überlieferung (arab. ‚hadith‘) fügt dem zusätzliche Details hinzu. Die Islamwissenschaft ist heute der Auffassung, daß der größte Teil der koranischen Adamserzählung auf Quellen der jüdischen Überlieferung zurückgeführt werden kann.

Der Koran berichtet, daß Gott den Menschen aus Lehm und Schlamm geformt hat (15,26), während die Geister und Dämonen (arab. djinn) aus Feuer erschaffen wurden. Adam wurde gleich Jesus auf Gottes Wort „Sei!“ (arab. kun!) hin erschaffen und hatte wie er keinen Vater (3,59). Gott blies Adam seinen Geist ein (15,29) und gab ihm „Geist … Gehör … Gesicht und Verstand“ (wörtlich „Herz“) (32,9). Muslimische Korankommentatoren haben stets betont, daß Gott dem Menschen zwar „Geist“ gab, daß dies jedoch lediglich ein Bild für die Tatsache sei, daß Gott dem Menschen das Leben geschenkt habe, der Mensch nach koranischer Auffassung jedoch nicht zum Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Der zentrale islamische Lehrsatz von der Einzigartigkeit Gottes (arab. tauhid), dem Gott, dem nichts gleicht und der mit nichts verglichen werden kann, würde eine solche Ebenbildlichkeit nicht zulassen.

Adams Frau wird im Koran erwähnt, jedoch nicht namentlich. Korankommentatoren nennen sie Hawa (auch dies ein Hinweis auf die Quellen der jüdischen Überlieferung). Während der Koran nichts von einer Erschaffung der Frau aus einer „Rippe“ Adams berichtet – muslimische Apologeten haben stets betont, daß die Frau im Koran „gleichberechtigter“ erschaffen wurde als nach der biblischen Erzählung – berichtet die islamische Überlieferung die Erschaffung der Frau Adams aus seiner Rippe.

Gott verkündet den Engeln, daß er auf der Erde einen „Nachfolger“, den Menschen, einsetzen werde (2,30). Die Engel weisen Gott prophetisch darauf hin, daß der Mensch auf der Erde „Unheil anrichten und Blut vergießen werde“ (2,30). Sodann berichtet der Koran, daß Gott Adam die Namen aller Tiere lehrte. Dadurch, daß Gott daraufhin die Engel nach den Namen der Tiere befragte und diese antworten mußten:

„Gelobt seist du! Wir haben nur das Wissen, das du uns vermittelt hast. Du bist der, der alles weiß und Weisheit besitzt“ (2,32),

müssen die Engel, die vor dem Menschen gewarnt haben, seine Vorrangstellung anerkennen. Adam benennt nun den Engeln gegenüber die Namen der Tiere. Daraufhin sollen sich die Engel vor Adam niederwerfen. Diesem Befehl Gottes leisten alle Engel Folge außer dem Teufel Iblîs, der sich aus Hochmut weigert (2,34).

Die Versuchung

Der Koran berichtet, daß Gott Adam und seiner Frau uneingeschränkt die Nutzung des Paradieses gestattet, aber – ähnlich dem Bericht des Alten Testaments – verbietet, von einem bestimmten Baum zu essen, der nicht näher bezeichnet wird. In Sure 2,35 verwehrt Gott sogar den Menschen, sich diesem Baum zu nähern, da die Menschen sonst zu „Frevlern“ werden. Aus Sure 20,120 kann geschlossen werden, daß der Koran mit dem Genuß der Früchte des Baumes Unsterblichkeit verbindet bzw. die Menschen Engeln gleich würden.

Danach tritt die Versuchung an Adam und seine Frau in Gestalt des Satans heran, der sie zur Sünde verleitet. Er flüstert dem Menschen die Übertretung ein (20,120), sie essen von dem verbotenen Baum (2,36). Ihre Nacktheit wird ihnen offenbar (7,22), und sie flechten sich ein Kleid aus Blättern (2,121). Gott vertreibt den Menschen aus dem Paradies auf die Erde (7,22). Von nun an besteht Feindschaft zwischen Mensch und Teufel (2,36).

Im Unterschied zum alttestamentlichen Bericht, bitten Adam und seine Frau Gott für ihr Vergehen um Verzeihung (7,23); die Überlieferung beschreibt die Reue der Menschen noch eindrücklicher. Aber auch im Koran bekennen sich Adam und seine Frau klar zu ihrer Sünde, indem sie sagen: Wir haben „gegen uns selber gefrevelt“ (7,23). Diese Aussage steht mit vielen weiteren Koranversen in Einklang, die betonen, daß der Mensch stets gegen sich selbst sündigt, nicht gegen Gott, während nach biblischem Sündenverständnis Gott der eigentlich Betroffene der menschlichen Sünde ist. Im Koran dagegen schadet sich der Mensch gewissermaßen nur selbst. Auf ihre folgende Bitte um Verzeihung vergibt Gott den Menschen ihren „Fehltritt“ (2,36–37), und „hierauf erwählte ihn [Adam] sein Herr. Und er wandte sich ihm (gnädig) wieder zu und leitete (ihn) recht“ (20,122). Zwar berichtet der Koran, daß die Menschen aufgrund ihrer Sünde aus dem Paradies vertrieben wurden, aber danach erfreute sich Adam erneut des Wohlgefallens Gottes. Im Ganzen betrachtet scheint das Paradiesgeschehen für die Menschheitsgeschichte folgenlos geblieben zu sein, während nach biblischem Bericht der „Sündenfall“, die Trennung und Entfremdung zwischen Gott und Mensch, weitreichende Folgen hatte und dadurch das Böse in die Welt kam.

Gottes Bund mit Adam

Der Koran berichtet darüberhinaus, daß Gott mit Adam einen Bund (arab. mitaq) schloß:

„Er sprach [zu den Nachkommen Adams]: ‚Bin ich nicht euer Herr?‘ Sie sagten: ‚Jawohl, wir bezeugen es‘“ (7,172).

Damit wird nach Meinung muslimischer Theologen ein ‚Bund der Vorewigkeit‘ mit dem ganzen Menschengeschlecht besiegelt. D. h., am Tag des Gerichts wird kein Mensch eine Entschuldigung vorbringen können, wenn er nicht zum Islam übergetreten ist, und zwar auch dann nicht, wenn die Vorväter dieses Menschen keine Muslime waren und er ihnen in ihrem falschen Glauben nur nachgefolgt ist (7,172–174). Gott hat nach islamischer Auffassung dem Menschen gewissermaßen eine Ahnung von dem einen Gott ins Herz gelegt, dem er nur Folge leisten müßte, indem er diesen Gott anerkennt und sich ihm unterwirft. Auch Sure 20,115 erwähnt den Bund, den Gott mit Adam einging, an den sich Adam jedoch seinerseits durch seinen Ungehorsam nicht hielt (vgl. auch 36,60–61). Wie die Bedingungen dieses Bundes lauteten, ist aus dem Koran jedoch nicht im einzelnen zu entnehmen. Nur Sure 2,40 erläutert, daß Gott auch seinerseits seine Bundesverpflichtung gegenüber den Menschen einhalten werde, ohne daß sie näher definiert würde. Nach Sure 9,111 besteht Gottes Bundesverpflichtung darin, daß diejenigen Gläubigen ins Paradies eingehen werden, die auf dem Weg Gottes kämpfen.

Vergleich zwischen biblischem und koranischem Bericht

Trotz mancher Ähnlichkeiten, die es zwischen dem koranischen und biblischen Bericht auf den ersten Blick zu geben scheint, ergeben sich zwischen dem Bild Adams nach Koran und Bibel doch auch tiefgreifende Unterschiede:

Während Adam im Alten Testament zur Kreativität aufgefordert wird:

„… Gott … brachte alle Tiere zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde… Und der Mensch gab Namen allem Vieh … .“ (1. Mose 2,19–20)

und zu verantwortungsvoller Herrschaft über die Erde:

„Er setzte den Menschen in den Garten Eden, ihn zu bebauen und zu bewahren“ (1. Mose 2,15),

muß Adam im Koran die Tiere so nennen, wie Gott sie ihm vorgegeben hat.

Während das Alte Testament betont, daß Adam (und mit ihm alle Menschen) im Bild Gottes geschaffen wurden, nur „wenig geringer als Engel“ und „mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt“ (Psalm 8,6) sind, bleibt dieser Gesichtspunkt im Koran völlig außer Betracht. Außer Betracht bleiben auch eventuelle Folgen des Ungehorsams der ersten Menschen im Paradies, während im Alten Testament der Sündenfall und seine weitreichenden Konsequenzen für die Menschheit ein erneutes Eingreifen Gottes erforderlich machen, nämlich die Sendung des Retters und Erlösers von Schuld, Jesus Christus.

Die wichtigste Funktion Adams im Koran liegt jedoch in seiner Vorläuferrolle, die er für Muhammad spielt. Mit der Behauptung, Adam habe die Ka’ba in Mekka errichtet und die rituelle Umgangsprozession gemacht, er sei also der erste Muslim gewesen, wird der Islam zur von Anbeginn der Menschheit bestehenden Urreligion der Menschheit erklärt, die schon Hunderte oder Tausende Jahre vor Muhammad verkündigt wurde. Damit wird die historische Reihenfolge der Entstehung der Religionen umgekehrt, der Islam wird zur ersten und ursprünglichen, das Juden- und Christentum zu nachfolgenden Religionen erklärt.

Literatur

  • Cornelia Schöck. Adam im Islam. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Sunna. Klaus Schwarz Verlag: Berlin, 1993 (Wichtige Koranstellen zu Adam sind 2,30–39; 7,11–25; 38,71–85; 20,115–127; 49,13.)