Fatwa zu der Frage, durch welche Faktoren die muslimische Gemeinschaft gefährdet werden kann

Institut für Islamfragen

Rechtsgutachten, aktualisiert am 25.09.2012

Von dem Rechtsgutachter Dr. Yusuf al-Qaradawi, dem Vorsitzenden der „International Union of Muslim Scholars“ (IUMS), und einem der prominentesten Rechtsgutachter unserer Zeit

(Institut für Islamfragen, dh, 04.11.2012)

Frage:

„Welche Faktoren gefährden die muslimische Gemeinschaft?“

Antwort:

„Durch zwei Faktoren kann die islamische Gemeinschaft gefährdet werden:

Erstens: Wenn alles, was zur Änderung, Entwicklung und Bewegung führt, eingestellt wird. Das lässt das Leben absterben und macht es wie stilles Wasser. Die Stille des Wassers bewirkt, dass es bald voller Keime und Mikroben ist.

Dieses [stille Leben] fand während der Zeitalter des Verfalls und des Abdriftens von der Rechtleitung des richtigen Islam statt. Wir sahen, wie damals die selbständige Rechtsfindung [der Gelehrten anhand der Quellen des Islam, arab. ijthihad] untersagt wurde. Das Gleiche betraf die Kreativität in der Wissenschaft, die Originalität in der Literatur, die Erfindungen in der Industrie, die Begeisterung für den Jihad usw. Das ganze Leben wurde von Nachahmung und Stagnation bestimmt, nach dem Motto: ‚Die Vorfahren haben den Nachfahren nichts [zur Erforschung] hinterlassen, und es ist unmöglich, zu besseren Ergebnissen zu kommen als das, was die Vorfahren [an Ergebnissen] hinterließen.‘ Währenddessen fingen die damaligen stagnierenden Gesellschaften an, … aufzuwachen, sich zu erheben und sich zu entwickeln. Daraufhin wuchsen diese Gesellschaften, bildeten sich fort und eroberten und kolonisierten, während die Muslime tief schliefen und sich unachtsam ablenkten.

Zweitens: [Die Gefährdung tritt ein, ] wenn in der muslimischen Gemeinschaft das, was fest, ewig und stabil bleiben muss, der Entwicklung und Veränderung unterliegt. So etwas erleben wir derzeit bei einer Gruppe muslimischer Nachfahren [der Altvorderen]. Diese möchte unsere [muslimische] Gemeinschaft von deren Religion [dem Islam] entfernen und von ihrem ganzen [kulturellen, religiösen] Erbe fortreißen – im Namen der Entwicklung. Sie wollen die Gottlosigkeit in der Religion [im Islam] für erlaubt erklären, Abstand vom muslimischen Gesetz [arab. Sharia] halten und von den guten Werten Abschied nehmen. Dies alles geschieht im Name des modernen Götzen, der sich ‚Die Entwicklung‘ nennt.
Sie wollen die Religion [den Islam] so verändern, dass sie zu allem passt, was sie an Gedankengut, Ideen, Maßstäben, Systemen, Bräuchen, Werten und Moral aus dem Osten und dem Westen importieren möchten.

Jedoch hat Allah die Religion [des Islam] erschaffen, damit die Menschheit nicht stolpert und hinfällt. Deshalb muss die Religion der feste Maßstab sein, den die Menschen als Schiedsrichter anrufen, wenn sie sich miteinander streiten, und zu ihm müssen sie zurückkehren, falls sie sich verlaufen.

Wenn die Religion der Wandelbarkeit des Lebens und dessen Umständen unterliegt, sie also [als Religion nur dann] tadellos wäre, wenn es [das Leben, bzw. die Umstände] tadellos sind, aber dann tadelnswert wäre, wenn das Leben tadelnswert ist, dann würde die Religion ihre Funktion im Leben der Menschen verlieren. D.h. die Religion könnte nicht mehr das Leben der Menschen rechtleiten und regieren … Die Religion muss [aber] die Menschen durch ihre Werte und ihren Willen regieren, statt von den Begebenheiten [des menschlichen Lebens] und seinem Verfall regiert zu werden.
Infolge dessen sprechen wir diejenigen an, die den Islam auffordern, sich zu entwickeln: ‚Warum fordert ihr die Entwicklung nicht auf, sich zu islamisieren?‘

Zusammengefasst: Der Islam herrscht. Die Entwicklung wird [vom Islam] beherrscht.“

Quelle: qaradawi.net/component/content/article/5782.html

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