Eine Abkehr von der wörtlichen Auslegung des Koran wird angestrebt
(Institut für Islamfragen, 06.08.2012) Ein vor kurzem von Tariq Ramadan in Katar gegründetes Forschungsinstitut setzt sich für eine neue Interpretation des Koran ein. In einem Interview forderte Vizedirektor Jasser Auda eine Abkehr von der wörtlichen Auslegung religiöser Texte. Vielmehr ginge es darum, die Absichten [maqasid] und ethischen Grundlagen des Koran zu ergründen. Im Hinblick auf die moderne Wissenschaft und die moderne Gesellschaft müsse man neue Wege finden, die Intentionen des Koran umzusetzen. Insbesondere der ‚islamische Staat‘ solle von Gelehrten so umgedeutet werden, dass er mit modernen Menschen- und Bürgerrechten vereinbar sei.
„Wenn es beispielsweise um Politik geht, interpretieren viele Islamisten die Schriften, oder die Geschichte, wörtlich. Sie fordern ein ‚khilafa‘ [Kalifat], wie es kurz nach dem Tod des Propheten Mohammed existiert hat. Für uns – ebenso wie für die klassischen Gelehrten – ist ein ‚khilafa‘ aber in erster Linie ein Staat, der auf Gerechtigkeit gegründet ist. Wenn wir uns also auf das Ziel eines ‚islamischen Staates‘ konzentrieren, nämlich Gerechtigkeit, könnte dieser durchaus die Form eines modernen institutionellen Staates annehmen, in dem Gewaltentrennung etc. herrschen.“
Das Institut möchte sich insbesondere auf neue Ansätze in der Politik und bei den Frauenrechten konzentrieren. Die derzeitige Auslegung des Koran im Bezug auf die Ehe sei „ungerecht“ und solle durch eine zeitgemäße, gerechte Auslegung ersetzt werden. Auch im Bereich der Umweltökonomie ließen sich aus den Intentionen des Koran Handlungsanweisungen ableiten, die sich bei einer rein wörtlichen Auslegung nicht ergeben könnten.
Auch bei der Umsetzung der Scharia in den arabischen Staaten sieht Auda die Notwendigkeit, moderne Interpretationen und Ansätze zu finden. In einem modernen islamischen Staat könne es durchaus einen nicht-islamischen Präsidenten (oder Präsidentin) geben.
„Die Menschen haben Islamisten gewählt, weil sie von ihnen erwarten, dass sie die soziale Gerechtigkeit wiederherstellen. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, werden sie in den nächsten Wahlen keine Chance haben.“
Quelle: qantara.de (Interview von Christoph Dreyer, en.qantara.de/wcsite.php?wc_c=19594&wc_id=20841&wc_p=1&wc_id=20841)