Pressemeldung zum Islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen

Institut für Islamfragen

Entscheiden zukünftig Islamisten in NRW über Lehrinhalte und Lehrpersonal für Islamischen Religionsunterricht?

(BONN, 06.09.2012) Im Dezember 2011 hatte Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland die schrittweise Einführung eines flächendeckenden Islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach beschlossen. Ein Beirat soll vorübergehend (zunächst bis 2019) die Interessen der muslimischen Glaubensgemeinschaften vertreten, solange keine Körperschaft des öffentlichen Rechts als anerkannte islamische Religionsgemeinschaft existiert, die verbindlicher Ansprechpartner für den Staat wäre. Dieses Provisorium ist ein Bruch mit geltendem Verfassungsrecht und laut Schirrmacher darüber hinaus im Hinblick auf die nötige Repräsentanz des gesamten islamischen Spektrums äußerst problematisch: Vier der acht Mitglieder des Beirats werden von den vier großen konservativen islamischen Verbänden des Koordinationsrates der Muslime (KRM) gestellt: der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), dem Islamrat, dem Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD); die übrigen vier Mitglieder ernennt das Bildungsministerium NRW – allerdings nur im Einvernehmen mit den vier Verbänden. Damit entscheidet der Staat mit über die Mitglieder des Beirates und damit über die religiösen Inhalte, die in den Schulen ankommen werden. Zugleich werden damit alle muslimischen religiösen Gruppen ausgeschlossen, die nicht vom KRM vertreten werden, wie z. B. die Ahmadiyya oder die Schiiten. Der Beirat begutachtet auch die Bewerber und entscheidet über deren Zulassung als Lehrer, sowie über Lehrpläne und Lehrbücher. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang, warum der Beirat die Veröffentlichung seiner Verfahrensordnung für die Zulassung von Bewerbern für den Unterricht weiter hinauszögert. In ihr soll es unter anderem um die Fragen des persönlichen Lebenswandels und der religiös-politischen Einstellung der Lehramtsbewerber gehen, die im so genannten Motivationsgespräch abgefragt werden sollen.

ZMD-Vertreterin rechtfertigt koranisches Züchtigunsrecht

Zweifel an der Eignung des Beirats betreffen nicht nur die fehlenden pädagogischen Qualifikationen der meisten Mitglieder und den Alleinvertretungsanspruch des Beirats für „den Islam“ oder die größtenteils nicht vorhandene pädagogische Vorbildung der zukünftigen Lehrer. Vor allem zwei Beiratsmitglieder haben in der Vergangenheit auch mit islamistischen Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht. Der Zentralrat der Muslime hat die ehemalige Aachener Grundschullehrerin Eva-Maria el-Shabassy in den Beirat berufen. Die zum Islam konvertierte el-Shabassy geriet erstmals 2004 in die Schlagzeilen, als die Wochenzeitung „Die Zeit“ in einem Artikel über Kopftuch tragende Lehrerinnen sie mit den Worten zitierte: „Wenn einmal in hundert Jahren eine Ehebrecherin gesteinigt wird, vielleicht werden dann ganz viele Ehen gerettet“. In einem Leserbrief hatte el-Shabassy später ihre Aussage widerrufen und behauptet, lediglich „auf die Praxis des Propheten“ verwiesen zu haben. El-Shabassy engagiert sich auch in der Fraueninitiative des eng mit der Muslimbruderschaft verbundenen Islamischen Zentrums in Aachen. In ihrem Buch zur „Frau im Islam“ betont el-Shabassy zwar zunächst, dass Muhammad seine Frauen nie geschlagen habe, rechtfertigt anschließend aber den so genannten Züchtigungsvers in Sure 4,34, nach dem der Mann seine Frau im Falle der befürchteten Widerspenstigkeit (vor allem im Bereich der ehelichen Pflichten) ermahnen, im Ehebett meiden und schlagen soll. Das Schlagen der Frau versteht el-Shabassy als „letzte Maßnahme“ – unter anderem bei drohender ehelicher Untreue. Dabei dürfe der Mann nicht im Affekt und nach entsprechenden Überlieferungen nicht hart und nicht ins Gesicht schlagen. Laut el-Shabassy ist es auch der Frau nicht verboten, ihren Mann bei befürchteter Widerspenstigkeit zu schlagen, „aber angesichts der physischen Überlegenheit des Mannes“ erscheint ihr das „wenig empfehlenswert.“

Generalsekretär des Islamrats fordert schrittweise Islamisierung von Staat und Gesellschaft

Offensichtlich sind die islamistischen Tendenzen auch bei einem zweiten Beiratsmitglied, Burhan Kesici, dem Generalsekretär des Islamrats. Der Politikwissenschafter und islamische Religionslehrer Kesici ist als Vizepräsident der Islamischen Föderation bereits in Berlin für den islamischen Religionsunterricht an 37 öffentlichen Schulen zuständig. Ein Blick in eine Hausarbeit zur „Beziehung zwischen Staat und Religion im Islam“, die Kesici 1996 im Rahmen seines politikwissenschaftlichen Studiums an der Freien Universität Berlin geschrieben hat und die bis heute auf der deutsch-türkischen Internetseite www.enfal.de abrufbar ist, verdeutlicht bereits seine islamistischen Ambitionen. Kesici spricht darin von der Notwendigkeit eines islamischen Staates, um „eine Harmonie zwischen dem privaten und dem öffentlichen “ herzustellen und unter anderem die islamischen Strafrechtsbestimmungen durchzusetzen. Anschließend wirbt Kesici für die Ideologie der „gerechten“ bzw. „islamischen Ordnung“ (a dil düzen) Necmettin Erbakans, des Gründers der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs und spricht sich für eine schrittweise Islamisierung der Erziehung, Moral, Wirtschaft und Politik aus, bei der zunächst „das Individuum, dann die Gesellschaft und zum Schluss der Staat islamisch geprägt wird.“

Fehlende Außenperspektive: Keine Befähigung der Schüler zur Kritikfähigkeit

In Berlin haben sich Kesici und seine Islamische Föderation bereits vor mehr als zehn Jahren das Recht erstritten, Religionsunterricht in eigener Trägerschaft – nicht wie in NRW als ordentliches Unterrichtsfach nach Art. 7 Absatz 3 Grundgesetz – anzubieten. Verfassungsschützer haben jedoch immer wieder auf „Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen“ und auf den Einfluss der islamistischen Milli-Görüs-Ideologie innerhalb der Föderation aufmerksam gemacht. Die wenigen Beobachter, die bisher Zugang zum Unterricht bekommen haben, beklagen die mangelnde pädagogische und didaktische Ausbildung der Lehrer und vor allem die fehlende „Außenperspektive“ im Unterricht. Statt die muslimischen Schüler auch zur Kritikfähigkeit gegenüber der eigenen Tradition auszurüsten, ginge es der Föderation fast ausschließlich um die Verkündigung ihres eigenen Islamverständnisses und der Einübung einer entsprechenden Glaubenspraxis, so die Beobachtungen.

Auch türkische Regierung kann über Beiratsvorsitzenden der DITIB Einfluss nehmen

Aus verfassungsrechtlicher wie integrationspolitischer Perspektive problematisch ist für Schirrmacher auch, dass mit Mehmet Soyhun, dem Dialogbeauftragten der DITIB („Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“), ein Vertreter den Vorsitz des Beirats innehat, dessen Organisation engstens mit dem türkischen Religionspräsidium (Diyanet) in Ankara verbunden ist, das nicht nur die Predigten für die Moscheen in der Türkei, sondern auch für die deutschen DITIB-Moscheen liefert. Die Diyanet wiederum ist direkt dem Amt des derzeitigen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyib Erdogan unterstellt, der in seinen vergangenen Auftritten in Deutschland allzu deutlich unterstrichen hat, dass es ihm mehr um die Stärkung der nationalen türkisch-islamischen Identität der in Deutschland lebenden Türken als um ihre Integration in die hiesige Gesellschaft geht.

Das gegenwärtige Dilemma: Gemäßigter Staatsislam oder staatlich geförderte Islamisierung?

Kritik an der Zusammensetzung des Beirats üben auch liberale Muslime wie die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Sie geht davon aus, dass die genannten Verbände lediglich zwischen 20 bis 30 Prozent der Muslime in Deutschland vertreten. Indem die Verbände selber vier Mitglieder stellen und den weiteren vier zustimmen müssen, werde ihnen „durch die Hintertür  die Quasi-Anerkennung als alleinige Repräsentanz der Muslime“ verliehen. Auf diese Weise könnten die etablierten Verbände  ganze Generationen mit ihren Vorstellungen prägen, während die Ansichten der bisher wenig organisierten liberalen Muslime in den öffentlichen Schulen ungehört blieben.

In der staatlichen Etablierung eines Gremiums in der Funktion einer Religionsgemeinschaft, dessen Mitgliedern jedoch die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft fehlt, liegt laut Schirrmacher ein Dilemma: Einerseits ist es rechtlich unzulässig, dass der Staat durch die Besetzung der Beiräte den Muslimen einen Staatsislam vorsetzt und ihnen damit vorschreibt, was sie zu glauben und wie sie ihre Quellen zu verstehen haben. Andererseits gilt das nur für Glaubensfragen, nicht für gesellschaftspolitische Inhalte, die die Verbände über ihre Mitglieder wie etwa den von Milli Görüs dominierten Islamrat vertreten. Aus Schirrmachers Sicht ist daher die Gefahr der Islamisierung sowie der Instrumentalisierung des Staates und seiner Neutralität nicht von der Hand zu weisen, wenn die organisierten Verbände durch den Staat einseitig priviligiert werden und ihre konservativ bis islamistische Auslegung der Quellen als den einzig „wahren Islam“ ganz offiziell über den bekenntnisorientierten Religionsunterricht in öffentlichen Schulen propagieren können.

Zum freien Abdruck, auch einzeln und auszugsweise – Belegexemplar erbeten.