Sie werfen damit rechtliche und theologische Fragen auf
(Institut für Islamfragen, Judith Kubitscheck (epd)) „Allahu akbar“: Immer mehr Muezzine rufen per Mikro und Lautsprecher zum Gebet. Sie berufen sich auf die Religionsfreiheit, Kritiker sehen gerade diese gefährdet.
Gladbeck/Tübingen (epd). Am 20. April führt die Ditib-Moscheegemeinde an der Wielandstraße in Gladbeck [bei Essen] einmal pro Tag den Gebetsruf per Lautsprecher ein. Damit gibt es in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein insgesamt mindestens ein Dutzend Moscheegemeinden, in denen entweder einmal wöchentlich oder bis zu fünf Mal täglich der Ruf des Muezzins erschallt. Doch auch anderswo, beispielsweise in der größten Moschee Baden-Württembergs, der Yavuz-Sultan-Moschee in Mannheim, ist der öffentliche Gebetsruf ein Thema.
„Schon lange wünschen wir uns den Gebetsruf per Lautsprecher, aber wir wollen damit niemanden erschrecken“,
sagt der Vorstand Bilal Dönmez dem Evangelischen Pressedienst (epd). Deshalb sei nun eine Diskussionsrunde geplant, um mit den Bewohnern von Mannheim ins Gespräch zu kommen. Die meisten Moscheen, in denen der Muezzin bisher per Lautsprecher zum Gebet einlädt, gehören der Türkisch-Islamischen-Union [Ditib] an. Die Kölner Ditib-Zentrale verfolge aber nicht die Absicht, den lautsprecherverstärkten Gebetsruf auf alle Moscheen auszuweiten, so der Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga.
„Doch wenn die Gemeinden vor Ort das anstreben und eine Möglichkeit seitens der Kommune angeboten wird, freuen wir uns.“
Rechtlich gesehen sei der Gebetsruf über Lautsprecher schon längst erlaubt.
„Unser Grundgesetz garantiert die freie Religionsausübung, niemand kann benachteiligt werden. Obwohl wir Muslime um unser Recht wissen, sind wir rücksichtsvoll und beachten die lokalen Gegebenheiten und Prozesse“,
betont der promovierte Islamwissenschaftler. Tatsächlich braucht eine Moschee keine Betriebsgenehmigung für den Muezzinruf per Lautsprecher, da nach dem Grundgesetz die Religionsfreiheit ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht ist, auf das sich auch Muslime beziehen können, wenn sie einen solchen Gebetsruf wünschen. Gegen den Muezzinruf kann deshalb ebenso wie gegen liturgisches Glockengeläut rechtlich nur vorgegangen werden, wenn er mit anderen Menschenrechten kollidiert, wie etwa bei zu hoher Lautstärke mit dem Recht auf Unversehrtheit, oder aber auch, wenn die „negative Religionsfreiheit“ verletzt wird – also das Recht, nicht zur Ausübung einer anderen Religion gezwungen zu werden.
Nach Ansicht des Soziologen und Menschenrechtlers Thomas Schirrmacher [Bonn] verletzt der lautsprecherverstärkte islamische Gebetsruf eben dieses Recht auf negative Religionsfreiheit. Denn der Muezzin rufe ein Glaubensbekenntnis in die Öffentlichkeit, das bewusst den islamischen Glauben von anderen Religionen – speziell vom Christentum – abgrenze und an dem auch Nichtmuslime durch Zuhören teilnehmen müssen. Deshalb könne man auch das Läuten einer Kirchturmglocke nicht mit dem Ruf des Muezzins vom Minarett vergleichen:
„Eine Parallele zum Muezzinruf wäre vorhanden, wenn das christliche sogenannte apostolische Glaubensbekenntnis lautsprecherverstärkt für alle hörbar und verstehbar von den Kirchtürmen gesungen würde“,
so Schirrmacher, der auch Vorsitzender der Theologischen Kommission der weltweiten Evangelischen Allianz ist. Theologisch gesehen ist der Ruf zum Gebet laut Erdal Toprakyaran, Direktor des Zentrums für Islamische Theologie in Tübingen, für Muslime verpflichtend, da ihn schon der islamische Prophet praktizieren ließ. Der Ruf sollte erfolgen, sobald man zu zweit oder dritt betet. Aber Lautsprecher seien keine nötig, damit das Pflichtgebet gültig ist. Im Gegenteil:
„Zu Zeiten Muhammads gab es natürlich noch keine Mikrofone, weshalb bis heute unter Muslimen umstritten ist, ob es überhaupt zulässig ist, mit Lautsprechern zum Gebet zu rufen.“
Andererseits sei die Verwendung eines Lautsprechers praktisch, weil man sich dadurch Gehör verschaffen könne, so der Juniorprofessor für islamische Geschichte und Gegenwartskultur. Zum lautsprecherverstärkten Gebetsruf gibt es auch Alternativen: Bisher rufen die meisten deutschen Moscheen im Inneren der Moschee zum Gebet. In Indonesien wird oft auf einen Muezzin verzichtet und durch Gongschläge zum Gebet gerufen. Im französischen Marseille strahlt die dortige Großmoschee zum Gebet ein Lichtsignal aus.
Quelle: (0882/15.04.2015) epd lbw kub dsq # epd-Service (mit freundlicher Genehmigung)