Rechtsgutachter: Dr. Yusuf al-Qaradawi, der Vorsitzende der „International Union of Muslim Scholars“ (IUMS) und einer der prominentesten sunnitischen Rechtsgutachter unserer Zeit
(Institut für Islamfragen, dh, 30.05.2018)
„… Damals habe ich den Muslimen in Frankreich gesagt, wir dürfen unseren Töchtern nicht die Bildung verbieten. Ansonsten würden wir uns zu einer rückschrittlichen Gemeinschaft entwickeln. … Diese Frage unterliegt bindenden Vorschriften. Die Lehre lautet: ‚Notfälle machen das Verbotene zum Erlaubten.‘ Der Inhalt dieser Lehre ist in fünf Koranversen belegt, z.B.: ‚Wenn aber jemand (dazu) gezwungen ist, ohne (es) zu begehren und ohne das Maß zu überschreiten, so trifft ihn keine Schuld‘ (Sure 2,173).
… Ich habe den muslimischen Frauen in Frankreich gesagt: Tragt euer Kopftuch bis zum Schuleingang. Dort legt ihr es ab und betretet die Schule. … Aber diese Verhaltensregel ist eben ein Notfall. Notfall heißt, dass er nicht zur Grundlage in unserem Alltag werden darf. Es ist dies also eine Ausnahme, die zwar gemacht werden kann, aber nicht zu einer allgemeinen Regel werden darf. Das bedeutet, wenn dieser Notfall vorüber ist, kehren wir zurück zur Normalität [dem Tragen des Kopftuchs].“
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=bTFwL7bBeYA
Kommentar (cp): Diese Fatwa steht im Kontext eines islamischen Minderheitenrechts, mit dem einflussreiche islamische Rechtsgelehrte wie al-Qaradawi den traditionell verbotenen langfristigen Aufenthalt von Muslimen unter nicht-islamischer Herrschaft rechtfertigen. Mit Rücksicht auf die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen werden dazu flexible Ausnahme-, Not- und Übergangslösungen für muslimische Minderheiten schariarechtlich begründet. Muslime sollen sich nach al-Qaradawi weder assimilieren noch isolieren, sondern ihre islamische Identität stärken und dann zunehmend Einfluss auf ihre Gesellschaft ausüben und sich für eine allmähliche Islamisierung vorherrschender Strukturen einsetzen. Für eine ausführliche Analyse dieses Minderheitenrechts siehe den Artikel von Carsten Polanz (in der Ausgabe 1-2012 der zweisprachigen Zeitschrift „Islam und christlicher Glaube/Islam and Christianity“).