Von der Freiheit eines Muslims – Islamwissenschaftler Ourghi will mit 40 Thesen den Islam reformieren

Judith Kubitscheck

Nur ein aufgeklärter, humanistischer Islam passt zu der westlichen Welt, ist Abdel-Hakim Ourghi überzeugt. In seinem neuen Buch wagt er eine Rundumreform des Islams: Vom Koran bis zum Kopftuch greift er fast alle islamischen Tabus an, die es gibt.

Freiburg/München (epd). Zwar ist der Islamwissenschaftler und Philosoph Abdel-Hakim Ourghi kein islamischer Martin Luther, das bestreitet er vehement. Aber seine Religion reformieren will er ebenfalls – und hat deshalb das Buch „Reform des Islam. 40 Thesen“ geschrieben, das in diesen Tagen im Münchener Claudius-Verlag erscheint. Laut Ourghi ist der Islam nicht die „Religion des Friedens“, wie so oft behauptet wird – er muss erst zu einer solchen gemacht werden. Dafür sei es nötig, dass die Muslime die Quellen ihres Glaubens infrage stellen. Denn:

„Die Auslegung bestimmter Suren kann über Frieden und Krieg, Leben und Tod entscheiden.“

Der Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg unterscheidet zwischen dem „humanistisch-ethischen Koran“ und dem „politisch-juristischen Koran“. Der erste ist ewig gültig, weil er universell sinnstiftende Lehren beinhaltet. Dies gilt nicht für den „politisch-juristischen Koran“, den die Islamisten und Salafisten gerne betonen, der aber nach Ansicht von Ourghi für die heutige Zeit keine Relevanz mehr hat und nur aus seinem Entstehungskontext verstanden werden kann. Damit spricht er den sogenannten Schwertversen, und Koranpassagen, die Juden, Christen und Frauen abwerten, ihre Relevanz ab, was auch nötig sei, „sonst bleibt ein Islam, der mit europäischen Werten vereinbar ist, ein Wunschtraum“.

Die Sunna, die Überlieferung der Aussprüche des Propheten, gilt bei den meisten Muslimen als zweite kanonische Quelle. Sie ist erst zwei Jahrhunderte nach dem Tod des Propheten entstanden und sei deshalb eine „nachträgliche historische Erfindung von Menschen die ihre politische Macht und religiöse Existenz legitimieren wollen“, betont Ourghi.

Als Hauptgegner seiner Reformationsvorschläge macht Ourghi die Vertreter des konservativen Islam aus. Seit Jahrhunderten diktierten Theologen und Rechtsgelehrte des konservativen Islams den Muslimen, wie sie ihr Leben zu führen haben und drohten mit dem Höllenfeuer, wenn sie sich nicht an die Gebote und Verbote der koranischen Weisung halten. Doch jeder Gläubige könne den Koran selbst lesen und verstehen, um zu Gott zu kommen.

„Allah ist kein Tyrann, er ist die Liebe, gnädig und barmherzig.“

Viele Verbote, etwa die Pflicht zum Kopftuchtragen oder das Verbot, dass Frauen das Gebet leiten, wenn Männer im Raum sind, stünden nicht im Koran, sondern seien „ein historisches Produkt männlicher Dominanz“. Außerdem müsse mit dem Dogma gebrochen werden, dass Nichtmuslime „Ungläubige“ sind, so der Initiator der „Freiburger Deklaration für einen reformierten, säkularen Islam“. „Die Überzeugung, dass der Islam die richtige Religion ist, ist nichts anderes als Selbstvergötterung der Muslime“, schreibt der gebürtige
Algerier.

Weil die islamischen Gelehrten wissen, dass sie durch eine Reform des Islam entmachtet werden, scheuten sie nicht davor, aufgeklärte Muslime durch Rechtsgutachten und dem Vorwurf der Islamophobie zum Schweigen zu bringen, so Ourghi. Der Freiburger Theologe weiß, wovon er spricht. Er ist Mitbegründer der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, in der die Frauenrechtlerin Seyran Ates als Imamin tätig ist. Direkt nach der Gründung der Moschee wandte sich die Fatwa-Behörde in Ägypten und die türkische Religionsbehörde Diyanet in Rechtsgutachten gegen die liberale Neugründung und kritisierte unter anderem, dass Frauen und Männer in einem Raum beten.

Doch Ourghi hält die Kritik der Konservativen nicht auf. Sein Versuch einer Reform des Islam sei angetrieben von einer „leidenschaftlichen Sehnsucht nach Freiheit“. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, zitiert er Martin Luther. Der Islam befinde sich in einer Sinnkrise. Deshalb sei es Zeit für einen neuen Islam:

„Die heutige Zeit kann nicht an den Islam angepasst werden, der Islam muss sich an die heutige Zeit anpassen.“

Quelle: epd-Südwest Nachrichten Nr. 187 vom 28.09.2017 (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung)