Muslimische Reformtheologen und Feministinnen, aber auch konservative Apologeten weisen häufig auf den aus ihrer Sicht für damalige Verhältnisse emanzipatorischen Charakter einiger Koranverse hin, die eine Gleichwertigkeit von Mann und Frau nahelegen: Mann und Frau sind aus einem einzigen Wesen geschaffen (Sure 4,1) und einander zu „Freunden“ und „Beschützern“ (Sure 9,72) gegeben. Beiden ist bei demütiger Ergebenheit gegenüber Allah und Erfüllung ihrer rituellen und ethischen Pflichten Sündenvergebung und Paradieslohn verheißen (Sure 33,35). Der Mainstream islamischer Gelehrsamkeit beharrt jedoch zugleich auf der koranisch festgeschriebenen Überordnung des Mannes im diesseitigen Leben (u.a. Sure 2,228: „Und die Männer stehen (bei alledem) eine Stufe über ihnen [den Frauen]“) und der Authentizität einer Überlieferung, die Frauen einen Mangel an Verstand und Religion unterstellt (Sahih Bukhari, Vol. 1, Buch 6, Hadith Nr. 301).
Aus dem Koran sowie der überlieferten Praxis (Sunna) Muhammads und der ersten Muslime werden im islamischen Recht bis heute unterschiedliche Rechte und Pflichten von Mann und Frau abgeleitet. Während der Mann für den Unterhalt der Familie aufkommen und die Familie im öffentlichen Bereich repräsentieren soll, ist die Frau zum Gehorsam ihm gegenüber – auch im sexuellen Bereich – verpflichtet und in streng islamischen Ländern in ihrer Bewegungsfreiheit weitgehend auf den häuslichen Bereich und dortige Aufgaben beschränkt. Das Prinzip von Über- und Unterordnung ist im islamischen Recht mit zahlreichenden Diskriminierungen verbunden: v.a. im Bereich des Heirats-, Scheidungs-, Sorge-, Erb- und Zeugenrechts. Nach Sure 4,34 soll der Mann seine Frau im Falle ihrer befürchteten Auflehnung vermahnen, sie im Ehebett meiden und schlagen. Letzteres versuchen zeitgenössische Ausleger(innen) zuweilen durch einen überlieferten Ausspruch Muhammads zu relativieren, nach dem der beste Mann seine Frau überhaupt nicht schlägt.
Zweifellos gibt es bei der geltenden Rechtslage und gesellschaftlichen Praxis große Unterschiede innerhalb der islamischen Welt (und v.a. zwischen Stadt- und Landbevölkerung sowie bildungsnahen und -fernen Milieus). Zudem kommen Zwangsheiraten und Ehrenmorde nicht nur in muslimischen Kulturen vor. Jedoch werden solche nicht selten mit frauenfeindlichen und diskriminierenden Aussagen der islamischen Tradition gerechtfertigt. Ein zentrales Problem besteht länderübergreifend darin, dass traditionalistische Gelehrte und islamistische Aktivisten die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel erlassenen Regelungen als zeitlos gültige und nicht hinterfragbare göttliche Offenbarung betrachten. Forderungen nach umfassender Gleichberechtigung von Frauen und die zunehmend auch in muslimischen Mehrheitskontexten vorgetragenen Ansätze einer feministischen Koranauslegung berühren daher Grundsatzfragen des Offenbarungsverständnisses und führen im innerislamischen Diskurs schnell zu folgenschweren Anschuldigungen der Häresie oder des Abfalls vom Glauben.
Siehe dazu auch: https://www.islaminstitut.de/2005/frauen-im-islam/
Weiterführende Literatur:
- Christine Schirrmacher und Ursula Spuler-Stegemann, Frauen und die Scharia. Menschenrechte im Islam, München: Goldmann, 2006
- Rita Breuer, Liebe, Schuld und Scham. Sexualität im Islam, Freiburg: Herder 2016