Seit gut 15 Jahren wird in regelmäßigen Abständen debattiert, ob der Islam zu Deutschland gehört. Diese Frage ist schlicht zu vieldeutig, um sie mit einem kategorischen Ja oder Nein unmissverständlich zu beantworten. Drei Rückfragen sind notwendig:
- Von welchem Islam reden wir? Vom sunnitischen oder schiitischen, vom türkisch, arabisch, persisch oder bosnisch geprägten, vom traditionellen Scharia-Islam der Dachverbände oder liberalen und säkularen Neuinterpretationen, vom Salafismus und der Muslimbruderschaft oder sufischen und volksislamischen Vorstellungen, von Sondergruppen der Aleviten oder Ahmadiyya …?
- Was verstehen wir unter „Deutschland“? Geht es uns um eine spezifisch deutsche oder gesamteuropäische Kultur- und Rechtsgeschichte, um das Grundgesetz und fundamentale Rechte wie das auf Meinungs- und Glaubensfreiheit, inklusive Religionswechsel und Religionskritik? Haben wir eine primär jüdisch-christlich oder eher aufklärerisch-humanistisch, streng säkular definierte „Leitkultur“ im Blick oder verbinden wir mit „Deutschland“ eine bestimmte Lebensweise, „deutsche“ Umgangsformen oder einfach nur das uns bisher vertraute Straßenbild?
- Wie definieren wir Zugehörigkeit? Lediglich eine sichtbare Existenz oder eine wechselseitige Wertschätzung von Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit? Will man einen prägenden positiven Einfluss der islamischen Zivilisation auf die europäische Kultur und Geschichte hervorheben oder einen solchen kategorisch ausschließen? Oder ist mit dem Beharren auf Zugehörigkeit (v.a. durch die großen Moscheedachverbände) der Anspruch auf eine stärkere Berücksichtigung (konservativ-)islamischer Interessen im öffentlichen Raum verbunden?
Nur wer klar definiert, was er unter diesen drei Schlüsselbegriffen versteht, kann auch eine klare Antwort formulieren, welcher Islam in welcher Hinsicht (nicht) zu Deutschland gehören kann. An die Stelle destruktiver Polemik, in der die Ja- und die Nein-Sager nur die eigene Klientel bestätigen, könnte dann eine lösungsorientierte Auseinandersetzung treten, die weder dringend notwendige Anfragen an den gelehrten und gelebten Islam tabuisiert noch Muslimen pauschal die Integrationsfähigkeit abspricht.
Eine ausgewogene Antwort auf die obige Frage lautet, dass Muslime mit ihrer (sehr unterschiedlich gelebten) Religion zweifellos zur heutigen gesellschaftlichen Realität in Deutschland gehören und selbstverständlich dieselben Rechte und Pflichten haben wie alle anderen Staatsbürger. Zugleich muss deutlich werden, dass bis heute weltweit vorherrschende Auslegungen des Islam an entscheidenden Stellen keineswegs mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind. Dies betrifft z.B. die Verknüpfung von religiösem Wahrheits- und politischem Machtanspruch, die rechtliche Diskriminierung von Nicht-Muslimen und Frauen, sowie die Bedrohung von Konvertiten und Religionskritikern, die nicht selten zu Gewalt gegen die Opfer führt. Muslimische Vertreter, die immer wieder ein uneingeschränktes Ja zur Zugehörigkeit des Islam einfordern, dürfen gerade an diesen Stellen kritischen Rückfragen nicht länger ausweichen und müssen endlich eine mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbare Alternative zum Islamverständnis jener Länder vorlegen und verbreiten, von denen sie bis jetzt oft noch ideologisch geprägt, ja teilweise auch finanziell und institutionell abhängig sind (z.B. DITIB). Solange sie dies nicht tun, kann die Frage nicht mit „Ja“ beantwortet werden, sondern nur mit einem „das hängt davon ab, ob …“.
Weiterführende Literatur:
- Bausback, Wilfried und Carsten Linnemann, Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland, Freiburg: Herder, 2019
- Josua, Hanna, Muslime und der Islam. Wer oder was gehört zu Deutschland?, Leipzig: EVA, 2019