Der Ehrenmord

Institut für Islamfragen

„Die Sippe rettete die Araber vor der Wüste und versklavt sie zugleich.“ (Aus: Rafik Schami: „Die dunkle Seite der Liebe“)

Nach Berichten der UN ist Gewalt gegen Frauen die häufigste Todesursache von Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren. Eine Form der Gewalt gegen Frauen ist der sogenannte „Ehrenmord“.

Ehrenmorde sind eine vorislamische Praxis, die mit der Theologie des Islam nicht begründet werden können. Sie sind charakteristisch für archaische, tribal organisierte Gesellschaften, vor allem im Mittleren Osten. Allerdings gehen in islamisch geprägten Gesellschaften angestammte Ehrvorstellungen mit gesellschaftlich akzeptierten religiösen Werten eine enge Verbindung ein, da der Koran und die Überlieferung für das sittsame Verhalten der Frau zahlreiche Vorschriften enthalten. Der Ehrenmord wird nicht ausschließlich im islamischen Umfeld praktiziert, allerdings ist eine besondere Häufung der Ehrenmorde in islamischen Gesellschaften zu beobachten. Besonders Pakistan nimmt eine prominente Stellung ein.

Was sind Ehrenmorde?

Der Ehrenmord ist eine Form der Gewalt, die sich fast ausnahmslos gegen Frauen richtet. Es handelt sich um einen Mord – eine vorsätzlich geplante, oft besonders heimtückische Tat aus niedrigen Beweggründen – die von der Familie oder Gesellschaft jedoch als legitimierte Tötung eines Mädchens oder einer Frau durch ein Familienmitglied beurteilt wird, wenn diese im Verdacht steht, den Ehrenkodex der Familie verletzt zu haben. Die Verletzung der Familienehre geschieht durch eine außer- oder voreheliche Beziehung, durch den Verdacht auf Ehebruch oder eine voreheliche Beziehung oder auch durch ein allgemeines (moralisches) Fehlverhalten der Frau. Im allgemeinen muss der Täter nur mit einer milden Strafe rechnen oder seine Tat bleibt sogar ganz und gar ungesühnt. Das Strafmaß liegt z. B. in Jordanien offiziell bei etwa sieben Monaten. Dies ist erstaunlich, hat Jordanien doch das UN-Frauenrechtsabkommen (CEDAW- Konvention) (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women) unterzeichnet. Gewalttaten, die religiöse begründet sind, sind jedoch davon ausgeschlossen. Das bedeutet:

Die CEDAW- Konvention wurde am 18. Dezember 1978 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Ihr Hauptziel ist die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in allen Lebensbereichen. Durch die Unterzeichnung dieser Konvention seitens Jordaniens sollte sich die Situation der Frauen dort verbessern und ihr sollten mehr Rechte zugesprochen werden. Jordanien erkennt dies Konvention aber nur bedingt an. So wird z.B der Täter eines „Ehrenmordes“ nach jordanischer Rechtsprechung zwar verurteilt. Aber bei dieser Rechtsprechung sehen die Artikel 97 und 98 vor, dass ein Mann, der in einem Ausbruch von Zorn getötet hat, von der Milde des Richters zu profitieren hat. Und Artikel 479 sieht dieselbe Behandlung für einen Mann vor, der seine Frau aufgrund eines Verdachts der Untreue getötet hat. Damit wird die völlige Verurteilung eines Ehrenmordes doch wieder teilweise zurückgenommen.

Weder die Gesellschaft als ganze noch die Gerichte betrachten den Ehrenmord daher in der Regel dort, wo er angestammte Praxis ist, als eine wirklich kriminelle Handlung. Ehrenmorde gelten dort gesellschaftlich vielfach als akzeptiert und als legitimes oder sogar notwendiges Mittel der Ehrverteidigung der Familie.
Die Todesarten

Vorsätzlich geschieht der Ehrenmord deshalb, weil der Tod des Mädchen oder der Frau in der Regel in einer Art Familienrat beschlossen, das Opfer aber nicht darüber in Kenntnis gesetzt wird. Die Tat wird meist von einem männlichen Verwandten – etwa dem Bruder, Schwager oder Vater – verübt. Oft wird ein Minderjähriger als Täter bestimmt, damit das Strafmaß im Fall der gerichtlichen Verfolgung geringer ausfällt.

Ehrenmorde geschehen vor allem im Mittleren Osten, z.B. in Jordanien, Palästina, in der Türkei, im Iran, aber auch in Süd- und Zentralasien, aber auch in Brasilien (SURGIR: “Was ist ein Ehrenmord?” www.surgir.ch). Nicht selten wird der Ehrenmord nach außen kaschiert; in Palästina z. B. mit der Begründung der Bestrafung einer „Kollaboration mit Israel“ oder in Pakistan mit einem „Unfall“ mit einem elektrischen Gerät. Andere Opfer kommen durch Vergiften, Erschießen, Erstechen oder Erdrosseln zu Tode. Wieder andere Opfer werden mit Benzin übergossen und angezündet (Souad: Bei lebendigem Leib. 2003).

Ehre und Schande

Der Ehrenkodex spielt in patriarchal geprägten Gesellschaften eine entscheidende Rolle. Die Anthropologie spricht häufg von einer„Honour and shame culture“ (Kultur der Ehre und Schande). Oberstes Ziel ist es, einen Gesichtsverlust zu vermeiden und die Ehre der Familie zu erhalten. Dazu muss das eigene Ansehen vermehrt und jegliche Form der Demütigung vermieden werden. Um die „Ehre“ geht es auch bei den politischen Konflikten zwischen den Ländern der westlichen und der mittelöstlichen Welt, die ihre Ehre gegenüber dem Westen glaubt, behaupten zu müssen. Ein „Komplex“ der arabischen Welt gegenüber dem Westen wird als Erklärungsversuch für die Ehrauffassung des Mittleren Ostens herangezogen: Weil die arabische Welt dem Westen im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich unterlegen sei, verfolge der Westen das Ziel, die arabische Welt zu beherrschen und ihr die Ehre zu rauben.

Der Ehrenkodex dieser Gesellschaft besteht aus einer defensiven und einer offensiven Form der Ehrerhaltung. Die defensive Form wird im Arabischen mit „ird“ bezeichnet und steht im Wesentlichen für die sexuelle Reinheit und Treue der Frau. Da die Ehre zu einem großen Teil auf der körperlichen Unversehrtheit der Mädchen der Familie beruht, kann die Ehre nur durch den Blutverlust des „mutmaßlichen Schuldigen“ reingewaschen werden.

Die offensive Form dieses Ehrenkodexes wird durch den arabischen Begriff „sharaf“ definiert und meint sämtliche Handlungen und Aktivitäten, durch die das Ansehen zunimmt. Dazu gehören Großzügigkeit, Mut und respektvolles Verhalten gegenüber anderen.

Sexualität und Weiblichkeit in islamischen Gesellschaften

  • Vorstellungen von Sexualität und Weiblichkeit in islamischen Gesellschaften spielen ebenso wie das Konzept von Ehre und Schande eine tragende Rolle bei Erklärungsversuchen, was die auslösenden Faktoren für einen Ehrenmord sind.
  • In einer islamischen Gesellschaft ist Sexualität auf den Mann zentriert und hierarchisch bestimmt. Der Mann ist der Berechtigte, in Bezug auf die Ausübung seiner Sexualität zu handeln, während die Frau in einer Ehe zum sexuellen Gehorsam verpflichtet ist. Die Vorstellung einer gleichberechtigten Partnerschaft ohne Gehorsamsprinzip ist dem islamischen Eherecht und der traditionellen islamischen Gesellschaft fremd.
  • Das Ehe- und Familienrecht ist Bestandteil der Scharia. Daher umfaßt die Gestaltung der Sexualität in der Ehe auch schariarechtliche Aspekte.
  • Der weibliche Körper hat nach mehrheitlicher Auffassung im Islam eine passive und zugleich dienende Funktion. So sagt Sure 2,223: „Eure Frauen sind euch ein Acker. Gehet zu eurem Acker, wann ihr wollt; aber schickt (etwas) zuvor für eure Seelen und fürchtet Allah und wisst, daß ihr Ihm begegnen werdet. Und verkünde Freude den Gläubigen.“ Aus diesem Vers leitet die traditionelle muslimische Theologie das weitgehend unbeschränkte Recht des Mannes auf eheliche Sexualität ab. Die Frau unterliegt durch die religiösen Gebote wie durch die Gesellschaft einer ständigen sozialen Kontrolle.
  • Der Körper der Frau und ihre Sexualität sind Zeichen der Würde der ganzen Gemeinschaft. Darum lastet auch ein hoher gesellschaftlicher Druck auf der Frau, sich gemäß den allgemein anerkannten Anstandsregeln zu verhalten. Der Koran weist die Frauen an, schamhaftes Verhalten zu zeigen: „Und sprich zu den gläubigen Frauen, daß sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und daß sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und daß sie ihren Schleier über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihren Ehegatten zeigen oder ihren Vätern oder den Vätern ihrer Ehegatten oder ihren Söhnen oder den Söhnen ihrer Ehegatten oder den Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder oder den Söhnen ihrer Schwester oder ihren Frauen oder denen, die ihre Rechte besitzt, oder ihren Dienern, die keinen Trieb haben, oder Kindern, welche die Blöße der Frauen nicht beachten. Und sie sollen ihre Füße zusammenschlagen, damit nicht ihre verborgene Zierat bekannt wird. Und bekehret euch zu Allah allzumal, o ihr Gläubigen; vielleicht ergeht es euch wohl.“ (24,31).
  • Der Mann dominiert in diesem Gesellschaftskonzept die Frau und gilt ihr als überlegen. Die Frau muß ihre sexuellen Wünsche den Regeln der Gemeinschaft unterordnen, ja, der Koran ordnet den Mann der Frau vor und räumt ihm sogar ein Züchtigungsrecht ein: „Die Männer sind den Frauen überlegen wegen dessen, was Allah den einen vor den anderen gegeben hat, und weil sie von ihrem Geld (für die Frauen) auslegen. Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam und sorgsam in der Abwesenheit (ihrer Gatten), wie Allah für sie sorgte. Diejenigen aber, für deren Widerspenstigkeit ihr fürchtet – warnet sie, verbannt sie in die Schlafgemächer und schlagt sie. Und so sie euch gehorchen, so suchet keinen Weg wider sie; siehe Allah ist hoch und groß.“ (4,34). Hier gehen Kultur und Religion ein Bündnis ein, indem die traditionelle nah- bzw. mittelöstliche Kultur die Auslegung dieser Koranverse vorgibt und die Bewegungsfreiheit der Frauen stark einschränkt. Moderne Interpretationen, die mit dem Koran eine Gleichberechtigung der Frau begründen, haben insgesamt wenig Gewicht.

Ursachen für Ehrenmorde

Ein Ehrenmord kann durch verschiedene Umstände ausgelöst werden. Die Frau kann durch ihr Verhalten oder ihr von der Norm abweichendes Rollenverständnis Opfer eines Ehrenmordes werden. Sie weicht z.B. von der Norm ab, wenn sie einer arrangierten Ehe nicht zustimmt, die die Familie für sie beschlossen hat. Oder sie gibt sich nicht mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter zufrieden, verläßt das Haus und spricht mit nichtverwandten Männern. Dann kann sie in einem konservativen Umfeld schon der Unmoral oder sogar des Ehebruchs verdächtigt werden. Von der Frau wird erwartet, dass sie sich den Entscheidungen der Familie – besonders ihres Vaters – fügt, nicht aber, dass sie eigene Vorstellungen verwirklicht.

Eine andere Ursache für einen Ehrenmord kann daher auch der Wunsch der Frau nach einem selbstbestimmten Leben mit dem Ziel sein, das Haus für eine Schul- oder Berufsausbildung zu verlassen. Die selbständigen Entscheidungen der Frau irritieren den traditionell denkenden Mann, der Frau kommen solche Entscheidungen nicht zu. Aus Sicht der Gesellschaft wird deren soziale Ordnung durch ihr Verhalten in Frage gestellt.

In anderen Fällen lehnen Frauen bestimmte religiöse oder Stammestraditionen ab. Oder eine Muslimin möchte einen Christen heiraten und dieser konvertiert nicht zum Islam (das islamische Eherecht verbietet eine solche Ehe).

Die Tatsache, mit einem Mann zusammen gesehen worden zu sein oder lediglich der Verdacht, mit einem Mann gesprochen oder zusammengewesen zu sein, assoziiert den Verdacht der sexuellen Unreinheit. Bildlich gesehen ist der Körper der Frau das Gefäß der Familienehre. Wird es beschädigt, zerbricht die Ehre der ganzen Familie.

Es kommt so zu einem Zusammentreffen einer unerlaubten Beziehung bzw. einem nicht-gesellschaftskonformem Verhalten und der „Notwendigkeit“, das Verhalten der Frau zu korrigieren. Ist die Frau nicht bereit, auf Ermahnungen und kleinere Strafen (z. B. Schläge) zu reagieren und sich dem gesellschaftlichen Druck zu beugen, sieht sich der Mann aus seiner Perspektive „gezwungen“, selbst für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen.

Besonders tragisch ist es, dass in einigen Fällen ein Gerücht als Auslöser für einen Ehrenmord ausreicht. Die Unterstellung einer sexuellen Beziehung oder eines Flirts reicht in einer Gesellschaft, in der der Ehrenmord praktiziert wird, oft als eine provokative, nicht hinzunehmende Beleidigung der Familienehre aus. Blut muß fließen, um die Ehre wieder herzustellen. Hier haben Ehre und Wahrheit nichts mehr miteinander zu tun. Die ganze Dramatik der Ehrenmorde wird deutlich, wenn man aufgrund von Autopsien in Jordanien schließt, dass bei 80% der Verdächtigten keine unerlaubte sexuelle Beziehung bestand (www.surgir.ch). Auch Zeichen und Hinweise oder Träume, die nicht mit diesem Thema in Zusammenhang stehen müssen, werden bisweilen als „Beweis“ der Untreue der Frau gedeutet.

In diesem Umfeld hat eine Frau nur ein Recht auf Leben, wenn sie sich an die gesellschaftlichen Normen und Traditionen hält. Hian Jilani ist mit ihrer Schwester, Asma Jahagir, in Pakistan als Rechtsanwältin tätig und unterstützt scheidungswillige Frauen. Auch hat sie ein Frauenhaus gegründet, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützten, erfährt jedoch manchen gesellschaftlichen Widerstand. Eine ihrer Klientinnen wurde von ihrer Familie vor ihren Augen erschossen.

Der Täter eines Ehrenmordes lebt in einer Gesellschaft, die ihn nicht als gewöhnlichen Kriminellen betrachtet. Er gilt als derjenige, der bereit war, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Daher werden z. T. auch gewöhnliche Verbrechen gegen Frauen als Ehrenmorde kaschiert.

Kennzeichen der Ehrenmorde

Jeder Ehrenmord beendet gewaltsam ein von Gott geschenktes Leben zu einem viel zu frühen Zeitpunkt. Es gibt zwar verschiedene Ursachen, die zu einem einzelnen Ehrenmord führen, aber dennoch einige gemeinsame Kennzeichen:

  • Der Familienrat trifft die Entscheidung, das Mädchen oder die Frau zu töten.
  • In der Regel ist der Täter ein Verwandter. Bevorzugt werden Minderjährige, so dass ein geringeres Strafmaß zu erwarten ist.
  • Der Ehrenmord wird von der Gesellschaft nicht als kriminelle Handlung verurteilt, sondern der Täter wird zum Helden stilisiert.
  • Bevor es zu dem Ehrenmord kommt, sind oftmals Mißhandlungen des Mädchens oder der Frau vorausgegangen um sie „zur Vernunft zu bringen“.
  • Das Opfer kann in der Gesellschaft weder mit Hilfe noch mit Solidarität rechnen. Erst wenn das Blut des vermeintlich Schuldigen fließt, ist die Tat gesühnt und die Ehre der Familie reingewaschen. Niemand wird sich von außen in solch eine Familienangelegenheit einmischen.
  • Der Mann glaubt sich aufgrund des bestehenden Ehrenkodex’ seines Umfeldes in seiner Ehre verletzt. Die Frau ist die Schuldige – sogar, wenn sie vergewaltigt wurde – der Täter stellt nur Recht und Ordnung wieder her. Somit hat „die Frage der Ehre“ „nichts mit der Wahrheit zu tun“ (Amnesty International; zitiert nach „Le Monde“).
  • Die Tat kann nach außen als Unfall oder als Bestrafung für vermeintliche andere Vergehen getarnt werden.
  • Der Mord wird damit gerechtfertigt, dass er die einzige Möglichkeit zur Ehrenrettung der Familie oder zur Einhaltung der religiösen Gebote darstellt. Dadurch gewinnt der Ehrenmord gesellschaftliche Akzeptanz.

Perspektiven

Welche gesellschaftlichen Änderungen müssten herbeigeführt werden, damit die Ehrenmorde ein Ende finden bzw. gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert sondern als kriminelle Handlung verurteilt werden?

Jaqueline Thibault, eine Mitarbeiterin der Frauenhilfsorganisation „Surgir“ urteilt:

„Zunächst müsste sich der Mann ändern. Er müsste aufhören die Frauen zu schlagen, seine Tochter zu schlagen. Wenn sich der Mann verändert, kann sich auch die Gesellschaft verändern“ (www.qantara.de/ show_article.php./_c-469/_nr-110/-p-1/i.html?).

Auch die gesellschaftlichen Werte müßten sich ändern: Die Frau müsste ihre Gleichstellung als ihr Recht und nicht als ein westliches Importgut ansehen. Die Gesellschaft als ganze müßte die aus der Tradition, Kultur und Religion abgeleiteten Werte neu überdenken.

Die Schwierigkeiten, Ehrenmorden ein Ende zu setzen, werden durch nicht-rechtsstaatliche –teilweise feudalähnliche – Strukturen in mittelöstlichen Ländern noch zusätzlich verschärft. Nicht das Individuum steht im Mittelpunkt der Gesellschaft noch die universalen Menschenrechte. Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, das in der öffentlichen Diskussion häufig tabuisiert wird. All das führt dazu, dass sich beim Thema Ehrenmorde nur wenig verändert.

Pakistan

In Pakistan ist die Tradition der Ehrenmorde besonders tief verwurzelt.

Die islamische Republik Pakistan wurde 1947 von dem Rechtsanwalt und Politiker Mohammed Ali Jinnah ins Leben gerufen. Pakistan bedeutet „Land der Reinen.“ Im Jahr 1948 ließ der erste Staatspräsident Mohammed Ali Jinnah verlauten, dass Pakistan kein theokratischer Staat sein werde und alle Pakistaner, egal ob Muslime, Hindus oder Christen, dieselben Rechte und Privilegien geniessen würden. In den 70er und 80er Jahren konnten sich jedoch islamische Kräfte immer mehr durchsetzen. Dies zeigt sich unter anderem in dem „Blasphemiegesetz“: Das sog. Blaspehemiegesetz trat 1986 in Kraft. Dadurch können all jene bestraft werden, die sich kritisch oder negativ über den Islam geäußert haben sollen. Das Blasphemiegesetz konnte in Kraft treten, weil das pakistanische Strafrecht auf dem islamischen Recht der Sharia basiert.

Die politischen und gesellschaftlichen Strukturen Pakistans begünstigen die gesellschaftliche Duldung von Gewalttaten gegen Frauen. Von der Gewalt gegen Frauen sind sowohl pakistanische Frauen als auch Flüchtlingsfrauen aus Afghanistan betroffen. Manche Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass etwa 80% der auf dem Land lebenden Frauen unter häuslicher Gewalt zu leiden haben; andere nehmen an, dass rund 40% der pakistanischen Frauen häusliche Gewalt als Teil ihres Frauenschicksals akzeptieren. (Qantara.de). Viele dieser Frauen sind Analphabetinnen und haben weder das Wissen noch die Mittel, sich gegen Mißhandlung zur Wehr zu setzen. Der Ehrenmord in Pakistan hat seinen Ursprung in den Stammestraditionen von Belutschistan, Punjab und Sindh. Die Bezeichnung für den Ehrenmord lautet „Karo Kari“ (Ehebrecher/ Ehebrecherin). Die Dunkelziffer bei nicht angezeigten Ehrenmorden ist hoch.

Ehrenmorde – was jetzt?

Der Ehrenmord ist ein Phänomen, dass sich im wesentlichen auf traditionell islamische patriarchale Gesellschaftssysteme beschränkt. Ausgelöst wird der Ehrenmord durch die subjektive Wahrnehmung des Mannes oder der Gesellschaft bzw. die Grenzüberschreitung der Frau, durch die der Mann sich in seiner Ehre verletzt oder in Frage gestellt sieht. Nun ist der Mann zum Handlen aufgefordert, um seine Ehre wieder herzustellen.

Es stellt sich die grundsätzliche Frage, was für eine Ehre das ist, die der Mann mit seiner Frau begründet bzw. durch ihren Tod zurückerlangen will? Was ist das für eine Ehre, die das Recht gibt, Leben zu beenden, Freiheit zu verbieten oder Liebende zu trennen? Was ist das für eine Ehre, die Folter und Mißbrauch begünstigt und jede Form der Selbstbestimmung im Keim erstickt oder Talente und Fähigkeiten der Hälfte der Gesellschaft verbietet?

Ehrenmorde sind eine Erscheinung, die die ganze Gesellschaft betrifft. Nicht nur im Mittleren Osten, sondern längst auch in Europa. In Deutschland starben allein in Berlin in den letzten sechs Monaten des Jahres 2004 sechs Frauen durch Ehrenmorde. Bisher wurde dieses Thema in der Öffentlichkeit wenig diskutiert. Es ist höchste Zeit, nicht gleichgültig wegzusehen, sondern Mädchen und Frauen zu unterstützen, die von dieser Gefahr bedroht sind, sowie rechtlich alle Mittel auszuschöpfen, um Ehrenmorde zu unterbinden bzw. hart zu bestrafen.