Auch die Rolle des Mannes in der Gesellschaft ist zumindest im ländlichen Bereich sehr stark von den Erwartungen der Familie und den traditionellen Rollenvorgaben bestimmt. Nur in der „verwestlichten“, gebildeten Oberschicht der Städte ändert sich das, die jedoch insgesamt nur eine kleine Minderheit darstellt.
Für die Stellung und das Ansehen des Mannes in der Familie und Gesellschaft sind Männlichkeit und Stärke von großer Bedeutung, die immer wieder deutlich werden und im Ernstfall auch unter Zuhilfenahme von Machtmitteln unter Beweis gestellt werden müssen. Das bedingt einen gewissen Zwang, diese Stärke auch zu demonstrieren und bei Normüberschreitungen – wenn sich z.B. eine Frau der Familie zu viele Rechte herausnimmt – Druck oder sogar Gewalt anzuwenden. Wer der vorgegebenen Norm nicht entspricht, verliert sein Gesicht, wird belächelt oder verachtet. Auch der Mann verfügt also nur über eine bedingte Entscheidungs- und Handlungsfreiheit und muß bestimmten Regeln entsprechen, um als geachtetes Mitglied der Gesellschaft betrachtet zu werden.
Als Kind wird der Sohn in aller Regel verhätschelt und verwöhnt. Er muß nur wenige Einschränkungen hinnehmen und wird als derjenige erzogen, der später Anweisungen erteilen wird. Schon seinen Schwestern, die ihrerseits auf den Gehorsam gegenüber dem Vater und dem späteren Ehemann hin erzogen werden, kann er Anweisungen erteilen, auch wenn er jünger ist als sie. Wenn ein Junge das Kinderalter hinter sich läßt und mit rund 14 Jahren in die Männergesellschaft eintritt, gilt es, zur Ernährung der Familie einen Beitrag zu leisten. Auf der moralischen Ebene wird er mitverantwortlich für die Bewahrung der Keuschheit der Schwestern, denn auf den Frauen der Familie ruht die Familienehre, die die männlichen Mitglieder wahren und verteidigen müssen. Wenn die Männer der Familie zu der Auffassung gekommen sind, dass eine der Frauen ihre moralischen Grenzen überschritten hat – oder auch nur ein entsprechendes Gerücht aufkommt – muss der Vater, der Bruder oder Cousin die Familienehre wieder herstellen. Meist geschieht das, indem er das verdächtigte Mädchen oder die Frau einsperrt, schlägt oder sogar tötet, also seine Stärke demonstrativ unter Beweis stellt. Ein Mann, der sich solch drastischen Handlungen verweigert, verliert sein Gesicht, er gilt als schwach und wird verachtet.
Männer der oberen Bildungsschichten können sich diesen Konflikten teilweise durch einen größeren Aktionsrahmen (z. B. Reisen ins Ausland) entziehen, teilweise dadurch, dass auch ihre Frauen durch Bildung und Beruf weniger auf das Haus beschränkt sind. Davon unberührt bleiben jedoch meist ihre Verpflichtungen für Haushalt und Familie. Teilweise setzen sich diese Frauen durch ihre außerhäuslichen Tätigkeiten leichter Verdächtigungen unmoralischen Verhaltens aus. Männer und Frauen sind also beide Gefangene einer Kollektivgesellschaft, die insbesondere im traditionellen Bereich wenig Freiraum für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Die Hüterinnen der Tradition sind oft die älteren Frauen der Familie.
Stark und männlich zu sein, bedeutet auch, im sexuellen Bereich der aktiv Handelnde, aber gleichzeitig Verführbare zu sein. Der islamische Ehevertrag bedingt die Pflicht des Mannes zum Unterhalt und den Gehorsam der Frau, insbesondere im sexuellen Bereich. Geht eine Frau aus und bedeckt sich nicht vorschriftsmäßig, gilt sie als Verführerin des Mannes, der ihrer Verführungskunst fast hilfllos ausgeliefert ist. Daher gilt die Frau im Falle eines Übergriffs als die eigentlich Schuldige, da sie dem Mann Gelegenheit zur Unmoral gegeben hat. Einerseits übt die nichtverwandte Frau außerhalb der Familie Anziehung aus, andererseits ist der Kontakt zur Frau mit Verboten und Reinheitsvorschriften verbunden: Die Pflicht zur Ganzkörperwaschung nach dem Geschlechtsverkehr, um wieder beten und fasten zu dürfen, die Pflicht zur kleinen Waschung, wenn man einer Frau nur die Hand gereicht hat.