Pressemeldung zum 90. Jahrestag des türkischen Völkermords an 1,5 Millionen Armeniern

Institut für Islamfragen

Türkei: Zwangsumsiedlungen als Reaktion auf armenische Aufstände

B O N N (21. April 2005) – Zum 90. Mal jährt sich am Samstag, den 24. April 2005, der türkische Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern. Die Türkei bestreitet weiterhin, dass es sich um einen echten Völkermord – also eine strategisch von osmanischen Behörden geplante und systematisch durchgeführte Vernichtung – gehandelt habe. So habe es zwar Zwangsumsiedlungen und Massaker gegeben, den Anlass dazu aber hätten vielmehr armenische Aufstände während des Ersten Weltkrieges gegeben. So sei es zwar zu einzelnen Übergriffen gekommen, viele Armenier seien aber aufgrund der schlechten Versorgungslage im Krieg an Krankheiten gestorben, argumentiert Yusuf Halacoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gesellschaft für Geschichte. Seiner Ansicht nach habe es höchstens 8500 armenische Opfer gegeben, wogegen die Armenier 519000 Muslime umgebracht haben sollen.

Der Streit belastet nicht nur die Beziehungen der beiden Staaten, die keine diplomatischen Beziehungen zueinander unterhalten. Die offene Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und die Anerkennung des Völkermords gehören zu den zentralen Forderungen der EU im Zusammenhang mit den kommenden Beitrittsverhandlungen.

Internationale Einmischung hat seinen Preis

Bisher hat die Türkei auf internationale Äußerungen stets mit großer Verärgerung und zum Teil mit politisch-diplomatischen Drohungen und Konsequenzen reagiert:

  • Im Jahr 2000 kam eine Abstimmung im US-Repräsentantenhaus zum Völkermord nicht zustande, weil die Türkei mit der Sperrung des amerikanischen Luftwaffenstützpunktes Incirlik gedroht hatte.
  • Der israelische Diplomat Ehud Toledano trat seinen Botschaftsposten in der Türkei 1997 nicht an, weil die Türken in diesem Fall alle Rüstungsverträge mit Israel stornieren wollten. Toledano hatte zehn Jahre zuvor den Völkermord öffentlich kritisiert.
  • Französische Firmen in der Türkei kostete die offizielle Anerkennung des armenischen Genozids im französischen Parlament Verträge in Millionenhöhe. Wie scharf die Türkei auf Kritik aus den eigenen Reihen reagiert, musste zuletzt der Schriftsteller Orhan Pamuk erfahren. Er sprach von Völkermord und löste damit nicht nur eine Pressekampagne gegen sich aus, sondern erhielt auch Morddrohungen aus der Bevölkerung.

Die Armenierfrage im deutschen Bundestag

Die Debatte um den Völkermord ist am Donnerstag, den 21. April, auch Thema im Bundestag. In einem entsprechenden Antrag fordert die Union die Bundesregierung auf, sich für eine vorbehaltlose Auseinandersetzung der Türkei mit „ihrer Rolle gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart“ einzusetzen. Auch der angestrebte interfraktionelle Antrag vermeidet die Benutzung des Wortes „Völkermord“. Dennoch bricht das Parlament mit diesem Vorstoß endlich das jahrzehntelange Stillschweigen aus taktischer Rücksichtnahme auf den NATO-Partner, EU-Beitrittskandidaten und Heimatstaat von gut zwei Millionen in Deutschland lebenden Türken. Vor wenigen Wochen beschloss die brandenburgische Landesregierung die Streichung des Völkermords aus den Lehrplänen, was allerdings heftige Reaktionen in den Medien nach sich zog und zur Vermutung von diplomatischer Einschüchterung der Landesregierung durch die Türkei führte. Die Streichung wurde zurückgenommen, dem türkischen Völkermord jedoch andere Beispiele hinzugefügt.

Türkisch-Armenische Expertenkommission: Bluff oder Aufbruchsignal?

Im Zuge des stärker werdenden Drucks durch die EU-Beitrittsverhandlungen hat sich die Türkei scheinbar zuletzt bewegt. So steht laut Gesetz keine Gefängnisstrafe mehr auf die Erwähnung des Völkermords. Wie der türkische Außenminister Abdullah Gül vor dem Parlament in Ankara berichtete, plane der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission von türkischen und armenischen Experten, die den Vorwurf des Völkermords untersuchen soll. Erdogan soll dem armenischen Präsidenten Robert Kotscharian bereits einen entsprechenden Vorschlag gemacht haben. Gleichzeitig nutzte Gül die international mit Spannung erwartete Regierungserklärung, um die türkische Position zu bestärken und mit Blick auf geplante Parlamentsresolutionen in verschiedenen Staaten – wie z.B. in Deutschland – kritisierte er, Parlamente könnten nicht über historische Ereignisse urteilen. Genau dies verlangt die EU mit dem Eingeständnis von der Türkei.

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