Pressemitteilung zum Stand der Religionsfreiheit in der Türkei

Institut für Islamfragen

Schlag gegen die Religionsfreiheit im Malatya-Prozess

B O N N (29. November 2007) – Eine weitere Einschüchterung und Gefährdung von Türken, die am christlichen Glauben interessiert seien, befürchtet Ron Kubsch vom Institut für Islamfragen durch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Prozess um die drei am 18. April 2007 ermordeten Mitarbeiter des christlichen Zirve-Verlages in Malatya. Bereits vor dem ersten Verhandlungstag am Freitag hatte Orhan Kemal Cengiz, einer der Anwälte der Hinterbliebenen, bedauert, dass sich von den 31 Aktenordnern allein 16 nicht mit den Tätern, sondern ausgiebig mit den missionarischen Aktivitäten der Opfer und anderer protestantischer Christen im Land beschäftigten. So habe der Staatsanwalt beispielsweise sämtliche detaillierte Informationen von den Computerfestplatten der Opfer über einzelne Interessenten am Christentum mit ihren Namen und Adressen in die Prozessakten aufgenommen. Dagegen blieben wesentliche Fragen nach dem Beziehungsnetzwerk der Täter, ihren Unterstützern und der Wirkung provozierender Publikationen örtlicher Zeitungen unberücksichtigt. Briefe der Täter an ihre Familien und Bekannte verdeutlichten, dass die Täter ihr Verbrechen als Opfer für das Heimatland verständen und sich dafür geschätzt wissen wollten. Für Cengiz hat der zunächst auf den 14. Januar vertagte Prozess wegweisende Bedeutung für die Zukunft des Landes, in dem selbst offizielle Vertreter des Staates christliche Missionare noch immer als „Feinde mitten im Land“ und „Agenten fremder Staaten“ darstellten und dadurch ähnliche Vorfälle wie in Malatya beförderten.

Christen droht neun Jahre Haft wegen Weitergabe ihres Glaubens

Sorgen um die Lage der Religions- und Meinungsfreiheit der Türkei löst auch der heute, am 29. November 2007, fortgesetzte Prozess gegen Hakan Tastan und Turan Topal aus. Den beiden türkischen Christen drohen wegen Herabsetzung der türkischen Identität nach Artikel 301/1 der türkischen Strafgesetzgebung, wegen Missionierung Minderjähriger und Beleidigung des Islam (Artikel 216/1) und unerlaubten Sammelns vertraulicher Informationen von Staatsbürgern (Artikel 135/1) bis zu neun Jahren Haft. In der Presse warf man den beiden zudem Frauenhandel, Waffenbesitz und Kooperation mit Terroristen vor. Die beiden Angeklagten wiesen bereits in den ersten Verhandlungen diese Vorwürfe empört zurück. Sie bezeichneten sich als Patrioten und bekannten sich zugleich zum christlichen Glauben. Da der Begriff „Evangelium“ gute Nachricht bedeute, wollten sie das Neue Testament an Menschen weitergeben, die sich dafür interessierten. Auch in diesem Fall beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft bei der Durchsuchung ihrer Wohnungen 5000 Adressen von interessierten Muslimen und gab leicht anonymisierte Beispiele zur Abschreckung an die Presse weiter.

EU-Bericht: Keine Verbesserung der Situation für Nichtmuslime

Bereits der neueste Türkei-Entwicklungs-Bericht der Europäischen Union vom 6. November hatte festgestellt, dass sich die Situation für Nichtmuslime nicht verbessert habe. Vor allem die Religionsfreiheit bleibt unzureichend. In den Personalausweisen ist weiterhin die Religionszugehörigkeit verzeichnet. Ein auf Antrag leer bleibendes Feld kann zu Diskriminierungen führen. Zudem werden christliche Missionare in den Medien und von staatlichen Stellen als Bedrohung der türkischen Integrität bezeichnet, nichtmuslimischen Vereinigungen die öffentliche Anerkennung versagt und ihr Besitz nicht selten staatlich enteignet. Hassreden gegen Nichtmuslime bleiben unbestraft. Bauvorhaben werden häufig verzögert oder ganz blockiert. Gemeinden können außerdem ihre bestehenden Gottesdiensträumlichkeiten nicht als solche im Stadtbebauungsplan anmelden, sodass sie als illegal jederzeit durch polizeiliche Anordnung geschlossen werden können.

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