Eine Antwort auf ‚A Common Word Between Us and You‘
Deutsche Übersetzung des Briefes des Internationalen Direktors der Weltweiten Evangelischen Allianz Geoff Tunnicliffe an die muslimischen Leiter vom 13. März 2008. Das englische Original findet sich unter www.worldevangelicals.org/news/view.htm.
Frieden
Wir begrüßen es sehr, dass Sie in Ihrem Brief die Tatsache betonen, dass diese Welt Frieden nötig hat, und dass Mitglieder der zwei größten Weltreligionen eine wesentliche Rolle dabei spielen werden, die Zukunft der Welt zu bestimmen. Wenn wir in unserem Leben und in unserer Lehre zu Krieg und Streit aufrufen, dann werden dem Gewalt und Blutvergießen folgen. Wenn wir dagegen für Frieden und Gerechtigkeit eintreten, werden Menschenleben gerettet werden.
Wir wollen keinen Zweifel daran lassen, dass wir als Christen mit Muslimen in Frieden leben wollen, so wie wir es mit allen Männern und Frauen auf dieser Welt tun wollen. Dies ist ein grundlegender Wesenszug unserer Religion, auch wenn wir nicht immer konsequent das leben und gelebt haben, was uns von Gott und in unserer schriftlichen Offenbarung geboten ist. Wir bedauern die Handlungen von Christen in der Vergangenheit und Gegenwart, die nicht den Lehren und dem Beispiel Jesu entsprechen. Wir sind fest entschlossen, anders als sie zu handeln.
In Matthäus 5,9-11 gebietet uns Jesus:
„Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.“
In Lukas 10,5 gebietet uns Jesus:
„Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst: Friede sei diesem Hause!“
Und Jakobus, der Bruder Jesu, lässt ganz richtig die Worte seines Bruders anklingen, wenn er sagt:
„Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird gesät in Frieden für die, die Frieden stiften.“ (Jakobus 3,18)
Ähnlich schreibt auch Paulus, der Apostel Jesu, in Römer 12,17-18:
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“
In 1.Timotheus 2,1-2 dehnt Paulus dieses Gebot auf die Welt der Politik aus:
„So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“
Seien Sie darum versichert, dass wir jegliche Bemühungen unterstützen, die in dieser unruhigen Welt den Frieden fördern werden. Wir sind sehr gerne bereit, über das zu sprechen, was Unruhe fördert, und nach Wegen zu suchen, wie wir friedlich zusammenleben können. Lassen Sie uns im direkten Gespräch über unsere Differenzen sprechen und versuchen, einander durch gute Argumente zu überzeugen, ohne Gewalt und Androhung von Gewalt, und damit über die Differenzen in den politischen Strategien oder in der Handlungsweise der Regierungen hinauszugehen.
In der Tat sind wir mit Ihnen einig, wenn Sie schreiben:
„Lassen wir unsere Meinungsverschiedenheiten nicht zu Hass und Streit zwischen uns führen. Lassen wir uns einander nur im Licht der Gerechtigkeit und der guten Werke betrachten. Lassen wir uns einander respektieren, fair, gerecht und gütig miteinander umgehen und in Frieden, Harmonie und gegenseitigem Wohlwollen leben.“
Wir sind überzeugt, dass jeder Mensch das Ebenbild Gottes und die Würde der Schöpfung in sich trägt und folglich unseren Respekt verdient, ungeachtet dessen, ob er die Wahrheit kennt oder nicht oder ob er nach dem Willen Gottes lebt oder nicht.
Ihr Aufruf, unser Aufruf
Sie beginnen Ihre einleitende Zusammenfassung mit einem offensichtlichen „Aufruf an Christen“, Muslime zu werden, indem sie Gott anbeten sollen, ohne ihm einen Partner zur Seite zu stellen.
Dürfen wir Sie im Gegenzug dazu einladen, Ihren Glauben an den Gott auszusprechen, der unseren Widerstand gegen ihn und unsere Sünde durch das vergibt, was sein Sohn Jesus Christus für uns am Kreuz getan hat?
Wir tun dies nicht, weil wir Streit suchen, sondern weil wir von der Wahrheit unseres Glaubens ebenso überzeugt sind wie Sie von der Wahrheit Ihres Glaubens. Jesus sagt in Johannes 17,3 in einem Gebet, das an Gott, seinen Vater, gerichtet ist:
„Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“
Jesus selbst sagte:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Johannes 14,6).
Indem Sie mehrere Male auf Aussagen des Korans hinweisen, denen zufolge Gott weder einen Partner noch einen Gefährten besitzt, lenken Sie die Aufmerksamkeit ganz richtig auf den größten Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum. Obwohl wir überzeugt sind, dass Sie unsere Lehre von Gott als dem Dreieinigen missverstehen, wenn Sie von einem „Partner“ Gottes sprechen, sind wir doch überzeugt von der Wahrheit der Dreieinigkeit, und folglich können wir Ihre Einladung nicht annehmen. Wir wissen, dass dies ein grundlegender Unterschied in unserem Verständnis vom Wesen Gottes ist; einer, der nach langen und aufrichtigen Gesprächen und unvoreingenommenem Hören aufeinander ruft, wenn wir unsere jeweiligen Positionen wirklich verstehen und über historisch gewachsene Zerrbilder hinauskommen wollen. Wir bitten Sie inständig, darüber nachzudenken, ob Sie sich an solchen Gesprächen mit uns beteiligen wollen.
Ein christliches Verständnis von Liebe
Ihr Brief bezeichnet natürlich erst den Anfang dessen, was sich zu einer langen Diskussion zwischen uns entwickeln könnte. Sie erwähnen viele Themen, die zum Kern unseres und Ihres Glaubens gehören; Dinge, über die wir nicht leichtfertig hinwegsehen können und auch nicht sollten. In Ihrem Brief zitieren Sie nur solche Worte Jesu, die mit Ihrem Glauben übereinstimmen. Das ist natürlich Ihr gutes Recht und wir nehmen alles, was Sie von Jesus zitieren, sehr ernst. Doch uns steht das Recht zu, alles zu befolgen, was Jesus gesagt hat, wie wir es in den vier Evangelien lesen, die Teil unseres heiligen Buches sind.
Nach unserem Verständnis ähnelt Ihre Einladung an uns, Muslime zu werden, sehr stark der Einladung, die Mohammed zu seinen Lebzeiten gegenüber Juden und Christen ausgesprochen hat. Mohammed war überzeugt, dass Jesus dieselbe Botschaft gelehrt habe wie er und dass jedes Wort Jesu im Neuen Testament, das nicht mit seiner Botschaft übereinstimmte, folglich keine Originalbotschaft Jesu, sondern eine Verfälschung sei.
So, wie wir Ihr Recht, dies zu glauben, respektieren, nehmen wir auch für uns das Recht in Anspruch, anderer Meinung zu sein und die Botschaft von Jesus Christus in Übereinstimmung mit unserem eigenen Glauben und unserer Tradition selbst auszulegen. Wir möchten dies anhand einer kurzen christlichen Auslegung Ihres zentralen Themas der „Liebe“ erläutern.
Von zentraler Bedeutung für uns ist Folgendes:
- Gott ist derjenige, der uns zuerst geliebt hat.
- Ewige Liebe geschieht zuallererst zwischen Gott dem Vater, Gott dem Sohn und Gott dem Heiligen Geist.
- Jesus ist die Mensch gewordene Liebe Gottes.
- Jesu Tod am Kreuz ist der größte Beweis der Liebe Gottes zu uns.
- Der Grund, weshalb wir Gott und unseren Nächsten nicht lieben, ist unsere Sündhaftigkeit und unser Widerstand gegen Gott.
- Nur Gottes Vergebung kann uns von Menschen, die Gott und andere Menschen hassen, zu solchen Menschen verändern, die in Versöhnung mit Gott und anderen Menschen leben.
- Folglich können wir erst dann lieben, wenn die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist.
Weil für uns diese Art der Liebe so zentral ist, brauchen Sie keine Befürchtungen zu haben, dass wir unsere unterschiedliche Sichtweise, was Liebe betrifft, insgeheim oder auch ganz offen als Vorwand dazu benutzen werden, Sie nicht zu lieben oder den Frieden zwischen uns zu gefährden. Wir machen nur deswegen auf unsere Differenzen aufmerksam, um zu zeigen, dass wir einen langen Weg vor uns haben, wenn wir die Liebe zum zentralen Thema unserer Gespräche machen wollen.
Religionsfreiheit
Wie Sie wissen, leben Muslime und Christen auf der ganzen Welt in den gleichen Ländern zusammen. Wenn wir in diesen Ländern friedlich zusammenleben wollen, können wir nicht warten, bis wir alle unsere theologischen Probleme gelöst haben. Sie sagen es: „Gerechtigkeit und Religionsfreiheit sind ein entscheidender Teil“ des Friedens, den wir uns alle wünschen.
Zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte hat irgendein Land auf der Welt dadurch Frieden zwischen den Religionen geschaffen, dass sich diese Religionen in allen Unterschieden einig wurden und sich zusammenschlossen. Normalerweise war und ist es immer genau andersherum. Wenn die Religionen beschließen, auf Gewalt, Zwang oder politischen Druck gegeneinander zu verzichten, wird dadurch eine Plattform geschaffen, auf der die religiösen Gruppen trotz aller Differenzen nebeneinander existieren können, wobei jede Religionsgemeinschaft in vollem Maß ihren Glauben ausüben und verbreiten darf und es allen Mitgliedern dieser Gesellschaft freigestellt ist, unter allen großen und kleinen Religionsgemeinschaften zu wählen, welcher Religion sie folgen wollen und welcher nicht.
Auch innerhalb unserer eigenen Religionsgemeinschaften ist es ja offensichtlich, dass wir zwischen den unterschiedlichen theologischen Schulen nicht in allen Details zu einer Einigung kommen. Hier denken wir zum Beispiel an die Unterschiede zwischen dem schiitischen und sunnitischen Islam oder dem protestantischen, orthodoxen und katholischen Christentum. Wann immer diese unterschiedlichen Schulen in der Lage sind, im selben Staat friedlich zusammenzuleben, dann ist der Grund dafür nicht der, dass sie sich in allem einig sind, sondern der, dass sie entweder vom Staat dazu gezwungen werden, friedlich zusammenzuleben (was kaum je eine dauerhafte Lösung darstellt), oder aber der, dass sie selbst beschlossen haben, ihre Differenzen auf den Bereich der Theologie und des Glaubens zu beschränken und nicht im politischen Raum auszutragen.
Frieden im politischen Bereich kann nicht durch theologische Uniformität bedingt sein. Es ist im Gegenteil sogar offensichtlich, dass einzelne Regierungen auch dann gegeneinander Krieg führen können, wenn sie dieselben religiösen Überzeugungen teilen. Stattdessen müssen wir anerkennen, dass Religionsfreiheit ein Grundrecht für alle Menschen ist, insbesondere aber für diejenigen, die von unseren eigenen Überzeugungen abweichen. Der wahre Prüfstein für Religionsfreiheit ist schließlich nicht, wie wir mit den Menschen umgehen, die mit uns übereinstimmen, sondern wie wir mit denjenigen umgehen, die anderer Meinung sind als wir. Wir bejahen, dass Gott nicht will, dass Menschen an ihn glauben, weil sie bedroht, gezwungen oder durch finanziellen Gewinn gelockt werden, sondern dass Gott will, dass sie ihm aus tiefster Herzensüberzeugung folgen.
Dreierlei Bedenken
Wir haben in dreierlei Hinsicht besondere Bedenken, die wir Ihnen vorlegen möchten und bezüglich der wir um Ihre Meinung und weitere Gespräche bitten.
Unser erster Punkt ist folgender: es ist uns wichtig, dass zwischen dem christlichen Glauben und der westlichen Welt unterschieden wird. Es leben zwar viele Christen in der westlichen Welt, doch die Mehrheit der Christen lebt woanders. Das Christentum ist keine westliche Religion. Es wurde im Mittleren Osten begründet und wird heute größtenteils in nichtwestlichen Gesellschaften ausgeübt. Tatsächlich glaubt die Mehrheit der Menschen, die in der westlichen Welt leben, überhaupt nicht an Gott, lebt nicht nach seinem Willen und legt auch keinen Lebensstil an den Tag, der dem christlichen Glauben entspricht.
Es ist uns wichtig, dass gesehen wird, dass politischer Frieden nicht in erster Linie Frieden zwischen zwei Religionen – dem Islam und dem Christentum – bedeutet, sondern ebenso die Beziehung des Islams zur westlichen Kultur und zu einzelnen Staaten der westlichen Welt. Wir sind oft betrübt über die Unmoral, die wir in der westlichen Welt sehen, und wir wollen nicht, dass dies den Frieden behindert. Wir bitten Sie inständig, zu erkennen, dass die Probleme der westlichen Welt ihren Grund gerade nicht im Christentum haben, sondern in dessen wachsender Ablehnung durch die westliche Welt.
Unser zweiter Punkt: Sie schreiben:
„Als Muslime sagen wir Christen gegenüber, dass wir nicht gegen sie sind und dass auch der Islam nicht gegen sie ist – solange sie nicht aufgrund ihrer Religion gegen Muslime Krieg führen, sie unterdrücken und aus ihrer Heimat vertreiben …“
Diese Zeile irritiert uns. Wir fragen uns:
„Wo führen Christen Krieg gegen Muslime? Wer unter den vielen christlichen Leitern, an die Sie Ihren Brief gerichtet haben, ist an einer derartigen Sünde beteiligt, wie es ein Krieg gegen Sie oder die Vertreibung von Muslimen aus ihrer Heimat darstellt? Hat irgendein christlicher Leiter öffentlich zu solchen Handlungen gegen Muslime aufgerufen?“
Bitte informieren Sie uns über solches Verhalten, wenn sie darauf stoßen, damit wir alles uns Mögliche tun können, um sicherzustellen, dass Muslime in Frieden leben können.
Unser dritter Punkt ist folgender: Uns liegen Indizien über viele Fälle vor, in denen Christen in muslimischen Ländern ihren Glauben nicht ohne Restriktionen ausüben können. Oft wird ihnen nicht erlaubt, Kirchen zu bauen und gemeinsam Gottesdienst zu feiern; bisweilen müssen sie sogar um ihr Leben und das ihrer Familien fürchten. Manche sitzen in Haft, andere wurden ermordet. Wenn dies Ihren Wünschen und Absichten zuwiderläuft, möchten wir Sie herzlich um Ihren Einsatz dafür bitten, dass Christen, die in muslimischen Gesellschaften leben, dasselbe Maß an Frieden und Gerechtigkeit zugestanden wird wie den Muslimen selbst.
Wir freuen uns sehr auf die nächsten Schritte in unserem Gespräch.
„Der Gott des Friedens aber sei mit euch allen! Amen.“ (Paulus im Brief an die Römer 15,33)