Pressemitteilung zur Religionsfreiheit in der Türkei

Institut für Islamfragen

Die Wirkung des deutlichen Plädoyers für Religionsfreiheit muss abgewartet werden

B O N N (26. Mai 2008) – Mit einem nach islamischen Maßstäben unerwartet deutlichen Plädoyer für Religionsfreiheit hat vor kurzem der Religionsgelehrte Professor Hakki Ünal, Mitglied des Hohen Rates für Religionsangelegenheiten in der Türkei, überrascht, wie das Institut für Islamfragen bei Recherchen in der Türkei ermittelt hat. Ünal unterstrich, dass es das universale und absolute Urteil des Koran sei, dass es „in der Religion keinen Zwang“ geben dürfe (Sure 2,256). Ünals Kommentar im Monatsmagazin des Ministeriums für Religionsangelegenheiten bezog sich vor allem auf folgenden Hadith (Überlieferung): Wie von Cabir b. Abdullah (r.a.) überliefert ist, kam ein Beduine zum Gesandten Allahs (s.a.s.) und wurde Muslim, indem er sich seiner Herrschaft unterwarf. Eine Weile später wurde er krank und wollte vom Gesandten Allahs, dass er seine Unterwerfung aufhebe. Der Gesandte Allahs akzeptierte dies nicht. Nachdem der Beduine auch auf das zweite und dritte Ersuchen hin eine negative Antwort erhielt, entfernte er sich von Medina. Darauf gebot der verehrte Prophet:

„Medina ist wie ein Blasebalg, der sein Dreckiges wegwirft und sein Reines festhält.“ (Buhari, Ahkâm, 45)

Ärger und Betrübnis: Ja – Erzwungenes Bekenntnis: Nein

Nach Ünal ist dieser Hadith eine eindeutige Beschreibung der Haltung Mohammeds zum Thema Glaubensfreiheit. Der Prophet sei verärgert und betrübt über die Haltung des Beduinen gewesen, aber habe den vom Islam abgefallenen Beduinen schließlich ziehen lassen. Zudem verweist Ünal auf Sure 16,125, wo es heißt:

„Rufe mit Weisheit, mit schönem Rat auf den Weg des Herrn und streite mit ihnen auf die schönste Weise. Ohne Zweifel kennt der Herr am besten die, die von seinem Weg abirren, und die, die auf dem rechten Weg sind.“

Ein anderer Vers (Sure 4,137) beschreibt nach Ünal die zweimalige Abwendung vom Glauben und schließt damit indirekt aus, den Apostaten zum Tode zu verurteilen. Ünal hält ein erzwungenes Glaubensbekenntnis für ungültig. Der Koran fordere bewusste Entscheidung und Aufrichtigkeit im Glauben. Die Heuchler und Scheinheiligen seien nach Sure 2,8–20 gefährlicher als die offenen Leugner.

Warnung vor jenseitiger Strafe statt politischer Verfolgung

Der Koran, so Ünal, lässt dem Menschen die Freiheit zur persönlichen Prüfung und Willensentscheidung und warnt lediglich vor den ewigen, jenseitigen Folgen dieser Entscheidung. In Sure 2,217 heißt es:

„Wer von euch sich von der Religion abwendet und als Ungläubiger (kafir) stirbt – alle Werke solcher sind in der Welt und im Jenseits vergeblich. Sie gehören in die Hölle, dort werden sie beständig bleiben.“

Zudem hätten die Abtrünnigen nach dem Koran (Sure 3,86–90) den Fluch Allahs, der Engel und aller Menschen verdient. Gründe für die allgemeine Religionsverfolgung und Bestrafung von Apostaten in der Vergangenheit sieht Ünal daher weniger in der Religion als in politischen und sozialen Gegebenheiten. Die einzige Ausnahme von der freien Ausübung der selbstgewählten Religion sieht Ünal dort gegeben, wo andere belästigt und ihre heiligen Werte angegriffen werden. In solchen Situationen müssten die Gesetzeshüter mit der Autorität des Gesetzes einschreiten.

Türkei: Missionare gelten als westliche Agenten, Konvertiten als Staatsverräter

Nach Einschätzung von Carsten Polanz vom Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz bleibt die Wirkung von Ünals Vorschlag abzuwarten. Vergleichbare Aussagen sind bisher seitens des Hohen Rates und des Ministeriums nicht bekannt geworden. Zudem sei unklar, wer nach welchen konkreten Kriterien feststellen könne, dass der Ausnahmefall der Belästigung oder des Angriffs auf heilige Werte vorliege, eine Einschränkung der Religionsausübung des Konvertiten also doch gerechtfertigt sei. Ünals Verweis auf die mehr politischen und sozialen Ursachen der Benachteiligung Andersgläubiger und Bedrohung von Apostaten ist aus Sicht von Carsten Polanz auf dem Hintergrund der engen Verknüpfung von Staat und Religion im Islam zu verstehen. Auch wenn eine Trennung beider Bereiche in der laizistischen Türkei formal festgeschrieben sei, gelte der Islam vielen politischen und gesellschaftlichen Kräften auch weiter als einigendes Band der Nation. Christliche Missionare würden daher besonders in den Medien nicht selten als westliche Agenten und türkische Konvertiten als Verräter an Staat und Gesellschaft hingestellt. Als verkürzt erscheint Carsten Polanz auch Ünals Darstellung des Vorbilds Mohammeds als Vorkämpfer von Toleranz und Religionsfreiheit. So beriefen sich radikale islamistische Kräfte auf ganz andere Aspekte des Vorbilds Mohammeds und verwiesen auf zahlreiche Verse, die zum Jihad aufriefen oder Mohammeds eigene Kämpfe gegen die Ungläubigen beschrieben. So hieße es beispielsweise in Sure 2,193:

„Und wenn Ihr auf diejenigen trefft, die den Glauben verweigert haben, so gilt das Schlagen der Genicke, bis, wenn Ihr sie niedergekämpft habt, Ihr dann die Fesseln festmacht“

oder in Sure Sure 9,5:

„Tötet die Götzendiener, wo Ihr sie findet, und ergreift sie und belagert sie und lauert ihnen in jedem Hinterhalt auf“.

Trotz aller Vorbehalte gegen die aus gutem Grund bezweifelbare Durchschlagskraft der Verlautbarung Ünals innerhalb der arabisch geprägten islamischen Theologie muss das positive Bemühen Ünals sowie des Hohen Rates und Ministeriums um eine entpolitisierte Auslegung der bisherigen Rechtfertigungen zur Verfolgung von Konvertiten aus dem Koran hervorgehoben werden.

Zum freien Abdruck, auch einzeln und auszugsweise – Belegexemplar erbeten.