Pressemitteilung zum Tag der Offenen Moschee am 3. Oktober 2010

Institut für Islamfragen

Islamrats-Vorsitzender warnt die Mehrheitsgesellschaft vor Ausgrenzung und Rassismus und fordert religiöse Aufklärung durch gläubige Muslime

B O N N (30. September 2010) 532 deutsche Moscheen laden am Sonntag, 3. Oktober 2010, zum „Tag der offenen Moschee“ (TOM) ein. Der verantwortliche Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KRM) rechnet mit rund 100.000 Besuchern. Die muslimischen Verbände vermuten angesichts der Sarrazin-Debatte einen großen Aufklärungsbedarf und haben den diesjährigen TOM der aktuellen Bedeutung des Korans gewidmet. „Die meisten, die über den Islam urteilen, kennen kaum einen gläubigen Muslim“, erklärte Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats und derzeitige KRM-Sprecher, bei der Pressekonferenz zum diesjährigen TOM. In offensichtlicher Anspielung auf den (mit staatsanwaltlichen Untersuchungen begründeten) Ausschluss des Islamrates aus der Deutschen Islamkonferenz beklagte er, dass man „über uns, nicht mit uns“ spreche. Für Kizilkaya ist daher die Gesellschaft gefragt, wie weit sie „Ausgrenzung und Rassismus“ dulde.

Berechtigte Sorge vor dem politischen Islam: Kritische Fragen nicht von vornherein rassistisch

Aus Sicht des Islamwissenschaftlers Carsten Polanz vom Institut für Islamfragen sind persönliche Begegnungen wichtig. Dazu gehört aber auf beiden Seiten auch die Bereitschaft, sich kritischen Fragen zu stellen. Muslimische Vertreter dürften nicht jeder kritischen Frage mit dem Vorwurf des Rassismus und der Diskriminierung ausweichen. Auch die weit verbreitete Skepsis in der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den zunehmenden großen Moscheebauten mit hohen Minaretten dürfe nicht von vornherein als Islamfeindlichkeit gewertet werden. Es gebe die berechtigte Sorge vor einer im Mehrheitsislam bisher fehlenden Trennung von Staat und Religion. Die Moschee habe in der islamischen Geschichte in der Regel nicht nur als Ort des gemeinschaftlichen Gebets, sondern auch als gesellschaftspolitisches Zentrum gedient. Außergewöhnlich hohe Minarette oder die Benennung zahlreicher Moscheen nach al-Fatih, dem osmanischen Eroberer des christlichen Konstantinopel, würden in Deutschland eher im Sinne eines politischen Machtanspruchs als im Sinne des Willens zur Integration verstanden. Gesprächsbedarf gebe es auch bei der Frage nach dem schariadefinierten Verständnis der Menschenrechte. Die zum TOM herausgegebene Broschüre mit dem Titel: „Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben“ wirft dazu wichtige Fragen auf.

Broschüre: Koranische Gebote und Verbote für ein „würdiges und glückliches Leben“

Die Broschüre beschreibt das koranische Verständnis der verschiedenen Verantwortungsbereiche des Menschen. Auf dem Einladungsplakat sind dazu Koranverse abgebildet, in denen es unter anderem heißt, dass

„Allah gebietet, Gerechtigkeit zu üben, Gutes zu tun und die Nahestehenden zu beschenken. Und er verbietet das Schändliche und Unrechte und Gewalttätige. Er ermahnt euch, euch dies zu Herzen zu nehmen.“ (Sure 16,90)

Laut Broschüre richtet sich der Koran mit seinen Geboten und Verboten

„an die Vernunft des Menschen […], um ihn ein würdiges und glückliches Leben im Diesseits zu ermöglichen und ihn vor den Konsequenzen im Jenseits zu bewahren.“

Zugleich wird betont, dass sich der Muslim „im Klaren darüber [sei], dass ihm die Entscheidung für sein persönlichesHandeln freigestellt ist“. An anderer Stelle wird jedoch betont, dass der Einzelne gegenüber der muslimischen Gemeinschaft (Umma) und der gesamten Menschheit die Verantwortung habe, das Gute (nach diesem Verständnis: den Islam) zu gebieten und vor Schlechtem (hier wohl gemeint: allem Nicht-islamischen) zu warnen. Gerade bei der Vermittlung dieses Bewusstseins soll die Moschee zusammen mit der Familie die zentrale Rolle übernehmen.

Schlüsselfrage offen: Freiheit des Individuums oder Vorrang der islamischen Werte?

Nach Einschätzung von Polanz bleibt somit die Schlüsselfrage offen: Ist die Freiheitdes Einzelnen den islamischen Werten und den jeweiligen Interessen der muslimischen Gemeinschaft untergeordnet? Welche Interessen haben im Konfliktfall den Vorrang, wenn zum Beispiel der einzelne Muslim sich von der islamischen Religion abwenden möchte oder deren Grundlagen kritisiert. In der von 57 Außenministern islamischer Staaten unterzeichneten „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ werden beispielsweise sämtliche Freiheiten des Menschen nur soweit garantiert, wie sie mit den Geboten und Verboten des islamischen Rechts übereinstimmen. Meinungsfreiheit bedeutet dort beispielsweise „im Einklang mit den Normen der Scharia für das Recht einzutreten, das Gute zu verfechten und vor dem Unrecht und dem Bösen zu warnen.“ Die Broschüre formuliere teilweise auffallend ähnlich, wenn sie die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der muslimischen Gemeinschaft hervorhebt. Kritische Rückfragen der Mehrheitsgesellschaft an die muslimischen Gemeinschaften sind gerade kein Hindernis für die Integration von Muslimen, sondern dringend notwendige Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft – nicht zuletzt am Tag der offenen Moschee, so Polanz.

Hintergrund: Der TOM fand erstmals 1997 auf Initiative des Zentralrats der Muslime (ZMD) statt. Dem heute verantwortlichen KRM gehören neben dem ZMD auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Islamrat und der Verband der Islamischen Kulturzentren an. In den letzten Jahren haben auch die Moscheegemeinden der Islamischen Gemeinschaft Mili Görüs am TOM teilgenommen.

Zum freien Abdruck, auch einzeln und auszugsweise – Belegexemplar erbeten.