Wie kann Allah die Menschen irreführen – wie der Koran z. B. in Sure 16,93 sagt: „Jedoch Er läßt irregehen, wen Er will, und führt richtig, wen Er will“?
Rechtsgutachter: „Islamweb“, eine Organisation des katarischen Religionsministeriums, die sich vor allem auf Rechtsgutachten [arab. Fatawa] und die Verbreitung des Islam [arab. Da’wa] spezialisiert hat. Sie zählt zu den größten Online-Zentren dieser Art mit sehr großer Reichweite.
(Institut für Islamfragen, dh, 24.06.2018)
Datum des Rechtsgutachtens: 06.01.2016
Nummer des Rechtsgutachtens: 319213
„Sunnitische Muslime glauben, dass Allah, er sei erhoben, allein über die Macht zur Rechtführung und Irreführung verfügt. Er – er sei erhoben – bringt die Taten seiner Knechte [der Menschen] hervor. Er macht den Rechtgeleiteten zu einem Rechtgeleiteten, und den Irregeführten zu einem Irregeführten. … Nichts in diesem Universum kann geschehen ohne den Willen Allahs [ohne, dass Allah dies will]. Die Bedeutung [des Koranverses] ist folgende: ‚Allah führt recht, wen er möchte, und er führt in die Irre, wen er möchte.‘
Dies bedeutet aber nicht, dass sein Knecht für seine Taten nicht verantwortlich ist. Denn der Knecht geht irre nach seinem Willen und gemäß seiner Wahl. Aber er hat so gehandelt nach dem Willen und der Bestimmung Allah, Er sei erhoben. Denn Allah sagt [im Koran]: ‚Und ihr werdet nicht wollen, es sei denn, dass Allah will‘ (Sure 81,29).“
Quelle: http://fatwa.islamweb.net/fatwa/index.php?page=showfatwa&Option=FatwaId&Id=319213
Kommentar (cp): Die vorliegende Antwort berührt ein zentrales Thema jahrhundertealter innerislamischer Kontroversen. Angesichts zahlreicher Koranverse, die alle Werke und auch den Glauben und Unglauben des Menschen auf die göttliche Vorherbestimmung zurückführen (u.a. 6,39 und 57,22), entwickelten in frühislamischer Zeit die so genannten Djabriten (von djabr = Zwang) eine strenge Prädestinationslehre. Ihnen widersprach Anfang des 9. Jahrhunderts die rationalistische Schule der Mutazila. Sie bejahten die Allmacht Gottes, aber verteidigten zugleich mit Bezug zu anderen Koranstellen (u.a. Sure 18, 29 und 40,17) die menschliche Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, ohne die es für sie keine gerechte göttliche Vergeltung menschlicher Sünden geben konnte. Im 10. Jahrhundert suchten die Asch’ariten einen Mittelweg und unterschieden zwischen dem von Gott bestimmten Zustandekommen aller Taten und der moralischen Verantwortung des Menschen für deren Aneignung. Diese (auch in der obigen Fatwa vertretene) Denkschule dominiert bis heute (trotz damaliger und heutiger Einwände) den innerislamischen Diskurs.